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Klarer Kurs auch für die Zukunft

Seit 2016 ist Prof. Jörg Bagdahn Präsident der Hochschule Anhalt, sein Vorgänger war Prof. Dieter Orzessek. Anlässlich „30 Jahre Hochschule Anhalt“ führt der Einblick ein Gespräch mit beiden über die Herausforderungen der Anfangsjahre, den Erfolg des eigenständigen Promotionsrechts und die Gestaltung von berufsbegleitenden Studiengängen. Ein Erfolgsfaktor: die positive Verankerung der Hochschule in der Region.

Prof. Orzessek, nachdem feststand, dass Professor Klaus Hertwig als Rektor nicht wieder antritt, war Ihnen schnell klar, dass Sie das Amt übernehmen wollten, und was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Prof. Orzessek: Schnell klar war das damals nicht, ich habe mir zwei Wochen Bedenkzeit erbeten und ich habe es schließlich als Pflichterfüllung angesehen. Wichtig war mir, dass eine völlig neue Person sich der Aufgaben annehmen sollte. Ich war ja bereits Rektor an der früheren Hochschule. Doch dann sind die Dessauer Kolleginnen und Kollegen an mich herangetreten und haben mich gefragt, ob ich nicht das Amt übernehmen möchte. Und das hatte natürlich seinen Reiz, damals herrschte eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Aber offen gesagt: So viele Gedanken habe ich mir zu dieser Zeit noch gar nicht gemacht. Die Hochschule musste geleitet werden, mit ihren drei Standorten war das keine einfache Konstellation und es gab jeden Tag handfeste Entscheidungen zu treffen.


Im Jahre 2003 wurde aus dem Rektorat der Hochschule Anhalt das Präsidium und Sie zum Präsidenten. Was veränderte sich dadurch?


Prof. Orzessek: Vor allem wollten wir mit einem eigenständigen Hochschulmanagement ein Zeichen setzen. Bei der Rektoratsverfassung war es damals so, dass der Rektor oder die Rektorin eine Professorin oder ein Professor aus der eigenen Hochschule sein musste. Mit der Präsidialverfassung haben wir uns bewusst für Ausschreibungen nach Außen geöffnet. Und zum zweiten wollten wir die Hochschule selbst leiten. Und nicht die Doppelherrschaft haben, dass dann noch ein Kanzler, eingesetzt vom Landesministerium, bei uns wirkt. Eine klare Leitungsstruktur war unser Ziel – und das hat sich auch bewährt.


Professor Bagdahn, 2016 wurden Sie zum Präsidenten der Hochschule Anhalt gewählt. Wie fühlte es sich an, in die Fußstapfen von Professor Orzessek zu treten? Warum haben Sie sich entschieden, für dieses Amt zu kandidieren?

Prof. Bagdahn: Professor Orzessek hat die Hochschule 20 Jahre erfolgreich geleitet und die Entwicklung stetig vorangetrieben. Vieles habe ich miterlebt, da ich seit 2009 im Rahmen einer gemeinsamen Berufung der Hochschule Anhalt mit der Fraunhofer-Gesellschaft bereits in der Lehre und Forschung eingebunden war. Mich reizte insbesondere, die Aspekte der anwendungsorientierten Forschung auszubauen, diese noch intensiver mit der Lehre zu verknüpfen und die Hochschule als das akademische Ausbildungs-, Forschungs-, Entwicklungs- und Transferzentrum in der Region weiterzuentwickeln. Und das alles in Köthen, in meiner Heimat und meinem Geburtsort umzusetzen, ist für mich etwas ganz Besonderes.


Im Jahr 2020 wurden Sie in zweiter Amtsperiode zum Präsidenten gewählt. Welche Ziele verfolgen Sie?

Prof. Bagdahn: Wenn man sich einer zweiten Amtszeit stellt, ist es so, dass man viele Dinge, die man in der ersten Amtsperiode angeschoben hat, auch umsetzen und zum Erfolg bringen will. Das gilt etwa für die praxisorientierte Lehre und die anwendungsorientierte Forschung, die wir erfolgreich ausgebaut haben. Das zeigen die Erstsemester-Studierendenzahlen aus dem Wintersemester 2020/21. Entgegen den Trend, haben wir in Sachsen-Anhalt einen Zuwachs verzeichnet, auch im Bundesvergleich stehen wir prima da. Meine weiteren Stichworte sind Internationalität, Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Forschung. Mehr als 30 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland zu uns – diese Zahl wollen wir zumindest halten, wenn nicht ausbauen. In der aktuellen Situation ist das eine große Herausforderung, insbesondere wenn es darum geht, den internationalen Studierenden die Möglichkeit zu eröffnen, trotz Reiseeinschränkungen an der Hochschule studieren zu können. In der Digitalisierung sind viele Dinge schneller gegangen, als wir uns vorgestellt haben: In der Umsetzung, in der Lehre und bis dahin, dass wir in den kommenden Jahren eine School of Digital Education gründen werden, die Aspekte der digitalen Lehre an der Hochschule zusammenführt. Das Thema Nachhaltigkeit ist wie ein grüner Faden, der sich durch das gesamte Studienangebot zieht: Vom Naturschutz über die Landwirtschaft, bis hin zur grünen Energieerzeugung, der Verfahrenstechnik und dem nachhaltigen Bauen. Und als weiterer wichtiger Punkt: die Weiterentwicklung der Forschung mit regionalem Bezug. Und da haben uns die Entwicklungen zum eigenständigen Promotionsrecht in die Lage versetzt, zukünftig noch stärker wettbewerbsfähig zu sein.


Die Hochschule hat sich intensiv um das eigenständige Promotionsrecht bemüht und nun einen schönen Erfolg erzielt. Was bedeutet das für Lehrende und Studierende?

Prof. Bagdahn: In den Fachrichtungen Life Sciences und Architektur und Designwissenschaften haben wir nun die Möglichkeit, den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs zur Promotion führen zu können. Damit vergrößern wir unsere Forschungsaktivitäten und erhöhen die Attraktivität unserer Standorte. In den anderen Bereichen, wie etwa den Ingenieurwissenschaften, den Informationstechnologien oder auch in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Wirtschaft, arbeiten wir in Zukunft im Verbund mit den anderen vier Hochschulen im Land kooperativ zusammen. Wir haben das Potenzial für gemeinsame anwendungsorientierte Forschungsvorhaben!

Aus jeder Kürzung sind wir stärker herausgegangen.

Prof. Dieter Orzessek

Prof. Orzessek: 20 Jahre waren Sie Präsident der Fach- bzw. Hochschule Anhalt. Woran erinnern Sie sich gerne?

Prof. Orzessek: An Entscheidungen, die die Hochschule vorangebracht haben. In vielen Stationen meines Berufslebens ging es um Kürzungen – das sind keine angenehmen Diskussionen gewesen. Aber rückblickend muss ich feststellen, dass wir aus jeder Kürzung durch klare Entscheidungen im Senat stärker herausgegangen sind. Ich erinnere mich gern an die Entwicklung des Studienkollegs, das ist ein prächtiges Angebot und wie Professor Bagdahn richtig gesagt hat: Die Internationalität spielt an unserer Hochschule eine riesige Rolle, da sind wir führend im Land. Hervorzuheben ist auch, dass wir die einzigen in Sachsen-Anhalt sind, die die berufsbegleitenden Studiengänge vorangebracht haben. Und das ist auch ein wichtiger Part, den ich vor allem für die Zukunft als sehr wichtig ansehe.


Als Ruheständler sind Sie in Ihrem Fachgebiet Landwirtschaft weiterhin sehr aktiv: Sie lehren, Sie forschen und Sie verbinden die Region mit der Hochschule durch traditionelle Veranstaltungen wie das Historische Erntefest, die Klosterweihnacht und seit einigen Jahren durch die Weinbergwanderung zum Hochschulweinberg „Waladala“. Warum sind diese Veranstaltungen wichtig für die Hochschule und die Region?


Prof. Orzessek: Bei den Veranstaltungen geht es mir darum, deutlich zu machen, wie verankert die Hochschule in der Region ist. Wir werden finanziert über staatliche Mittel und möchten der Region und der Gesellschaft dafür auch etwas bieten. Wenn wir unsere Türen öffnen oder solche Veranstaltungen anbieten, können sich alle ein Bild davon machen, was wir leisten. Das geht weit darüber hinaus, unter Schülerinnen und Schülern potenzielle Studierende anzusprechen. Zudem verknüpfen wir mit diesen Angeboten positive Erlebnisse, die lange nachwirken. Das wird weitergetragen und ist nicht zu unterschätzen – ob in der klassischen Mund-zu-Mund-Propaganda oder über die neuen Medien.

Wir hatten von Anfang an ein gutes Niveau der Lehre.“

Prof. Dieter Orzessek

30 Jahre Hochschule Anhalt sind ein hervorragender Anlass, um sich die Qualität der Hochschulausbildung anzuschauen. Mittlerweile entscheiden sich mehr und mehr Studierende aus den „alten“ Bundesländern für die „neuen“: Anders als in den Anfangsjahren zweifelt niemand an der Qualität in Studium, Lehre, Weiterbildung und Forschung. Wo liegen die Stärken der Hochschule Anhalt?

Prof. Orzessek: Wir hatten von Anbeginn an einen guten Zulauf aus den alten Bundesländern. Bei den jungen Menschen gab es überhaupt keine Hürde. Ich erinnere mich noch an den Studiengang Landespflege, damals gab es einen Jahrgang mit 220 Studentinnen und Studenten. Auch in der Ökotrophologie hatten wir immer einen guten Zuspruch aus den alten Bundesländern. Und mit Beginn der Fernstudiengänge kommen die jungen Leute sowieso aus allen Richtungen Deutschlands. Wir hatten eher ein Problem mit der Professorenschaft, die dachte, wir könnten mit den Fachhochschulen im Westen Deutschlands nicht mithalten. Die Einführung von Masterstudiengängen war auch kein einfacher Schritt, aber jetzt waren sie z. B. eine entscheidende Voraussetzung für das aktuelle Promotionsrecht.

Prof. Bagdahn: Genau. Gut ein Drittel der Studierenden sind in den Masterstudiengängen eingeschrieben. Und die entscheiden sich ganz gezielt: Da ist es egal, von wo ich komme. Ich suche mir den Studiengang aus, weil ich mich damit persönlich weiterentwickeln kann. Und das war natürlich entscheidend. Denn wenn wir promovieren wollen, brauchen wir die jungen Leute, die die Forschungsarbeiten durchführen. Sie kommen teilweise von außen, aber noch viel besser ist es, sie kommen aus der eigenen Hochschule um ihnen frühzeitig Perspektiven anzubieten.

Prof. Orzessek: Wir hatten von Anfang an ein gutes Niveau der Lehre. Natürlich hatten wir noch nicht die Vollbesetzung der Professorenschaft, da musste viel improvisiert und berufen werden. Als ich als Rektor 1993 begann, lagen 35 Verfahren im Ministerium zur Bearbeitung vor. Gerade in der Aufbauphase war das eine schwierige Situation. Aber das haben wir geschafft und wir haben uns gut entwickelt. Später kam das Qualitätsmanagement hinzu und mit der jetzigen Systemakkreditierung der Studiengänge haben wir beste Voraussetzungen für eine gute Qualität in Studium und Lehre.

Für die Wissensvermittlung vor allem für das Praxisorientierte, was eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften ausmacht, da müssen die Personen vor Ort sein.

Prof. Jörg Bagdahn

 

 

Wir unterhalten uns in einem frisch renovierten Hörsaal des Ratke-Gebäudes, der viele Jahre nicht genutzt werden konnte, sich aber hoffentlich bald wieder mit Leben füllt. Die Corona-Pandemie hat den Hochschulalltag stark verändert. Müssen wir Lehre neu denken?

Prof. Bagdahn: Das vergangene Jahr war ein enormer Einschnitt und hat das Thema digitale Lehre auf die Agenda katapultiert. Wir waren zum Glück gut vorbereitet und alles hat schnell funktioniert. Es gab viele Workshops, in denen sich die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig unterstützt haben. Nichtsdestotrotz sind wir eine Präsenzhochschule. Zum Wintersemester wollen wir soweit es möglich ist, zur Präsenzlehre zurückkehren. Natürlich werden wir nicht alles, was wir in der Corona-Pandemie an digitalen Angeboten entwickelt haben, über Bord werfen, sondern das fortführen, was sich als sinnvoll herausgestellt hat. Aber für die Wissensvermittlung, vor allem für das Praxisorientierte, was eine Hochschule für Angewandte Wissenschaften ausmacht, da müssen die Personen vor Ort sein.

Was glauben Sie, wie lässt es sich in den nächsten 30 Jahren lehren, lernen und forschen?

Prof. Bagdahn: Was in 30 Jahren sein wird, ist schwer zu sagen. Die Hochschule wird sich den gesellschaftlichen Herausforderungen und den Bedürfnissen stellen müssen. Das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit bewegt die gesamte Gesellschaft. Und wenn man sich anschaut, was sich die Welt und auch Deutschland in den nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahren vorgenommen haben, im Prinzip bei der Energieerzeugung fast ohne CO2 auszukommen, dann setzt das große technische Innovationen voraus, die teilweise noch entwickelt werden müssen. Und dazu wiederum braucht es Personen. Viele unserer Studienangebote werden sich daraufhin weiterentwickeln, um den Bedarf dazu aufzunehmen und, dass sehe ich wie Professor Orzessek, der Bedarf an berufsbegleitenden Studienangeboten wird zunehmen, weil der Wandel die Notwendigkeit mitbringt, dass sich Personen in diese Richtung qualifizieren. Das sind ja nicht nur alles Studierende im klassischen Sinne, sondern das sind auch Personen, die im Berufsleben angekommen sind und sich weiterentwickeln wollen. Und hierfür Angebote zu entwickeln, das wird etwas sein, worauf die Hochschule reagieren wird. Auch wird es Themen geben, die jetzt noch am Anfang stehen, wie etwa die künstliche Intelligenz. Ich gehe davon aus, dass sie in Zukunft unseren Alltag deutlich mehr bestimmen wird als heute.

Schauen sie sich auch das Video zum Interview an.

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