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Coworking - Bedürfnisse verstehen

  • Adobe Stock Foto für Kolumne Tobias Kremkau-Coworking

Vor ein paar Wochen nahm ich an einem Workshop über die Tourismus-Information der Zukunft teil und versuchte die Debatte um die Perspektive einer mobilen Arbeitswelt zu erweitern.

Als Beispiel für sich neu erfindende Orte führte ich Bibliotheken an, die immer öfters Coworking Spaces und Makerspaces integrierten oder sich mit dem Konzept der „Open Library”, bei dem Menschen außerhalb der regulären Öffnungszeiten ohne Personal Zugang zur Bibliothek bekommen und diese nutzen können, ganz neu aufstellten. In Berlin würde so etwas vielleicht funktionieren, aber doch nicht hier bei uns in der Provinz, erklärte man mir.

„Das funktioniert nicht in der Provinz“

Das hätte ich kommen sehen müssen. Diese erste Reaktion war vorhersehbar, aber ich tappte in meiner Naivität in die Falle. Selbstverständlich ist es Unsinn, auch außerhalb der Metropolen wagen Bibliotheken und auch Tourismus-Informationen neue Wege zu gehen und Angebote zu schaffen, die bisher sicherlich nicht mit diesen Orten verbunden waren.

Die Stadtbibliothek im sächsischen Kamenz oder die Tourismus-Zentrale der Hansestadt Salzwedel im Norden von Sachsen-Anhalt sind nur zwei Beispiele für diese Entwicklung. Beide haben unter anderem mobile Arbeitsplätze in ihre Räumlichkeiten integriert und machen so ein neues Angebot.

Den Trugschluss, dass Menschen in der Metropole andere Bedürfnisse haben als die Menschen in der Kleinstadt oder im ländlichen Raum, kann ich nicht verstehen. Das mag naiv klingen, aber meiner Beobachtung nach gibt es beispielsweise bei der Gewichtung der Zielgruppen eines Coworking Spaces zwischen denen in der Stadt und denen im ländlichen Raum zwar Unterschiede, aber an beiden Standorten trifft man stets dieselben Zielgruppen an.

Und diese haben Bedürfnisse, deren Bedienung stets eine potenzielle Geschäftsmöglichkeit darstellt. Deshalb ist es wichtig, die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen vor Ort zu verstehen.

Pendelzeit ist Lebenszeit

Menschen in urbanen Wohnquartieren wollen genauso wenig pendeln wie Menschen im ländlichen Raum. Dabei ist es egal, ob ich eine Stunde von Berlin-Friedrichshain nach Berlin-Steglitz brauche oder in derselben Zeit von Stendal nach Hannover pendle. Pendelzeit wird zwar nicht als Arbeitszeit anerkannt, stellt aber Lebenszeit dar.

Deshalb sind wohnortnahe Coworking-Angebote, wie sie beispielsweise mehrere sächsische Wohnungsgenossenschaften in Kleinstädten bereits testen, genauso vielversprechend wie der x-te Coworking Space in Neukölln. Pendelnde Angestellte stellen an beiden Standorten eine Zielgruppe dar.

Selbstständige und freiberuflich Tätige arbeiten sowohl in der Stadt als auch auf dem Land aus denselben Gründen in Coworking Spaces: sie benötigen eine professionelle Arbeitsumgebung und schätzen die Möglichkeit auf Gleichgesinnte zu treffen, mit denen sie sich austauschen können.

Ähnlich geht es Startups, die sich in den frühen Phasen ihres Unternehmens oft keine eigenen Büroräumlichkeiten leisten können, aber gleichzeitig nach einer produktiven Umgebung suchen, die ihnen hilft, ihre Ideen voranzutreiben. Coworking Spaces ermöglichen es ihnen, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren.

Nischenlösungen als potenzielle Geschäftsmöglichkeit

Zwar mag es in der Großstadt mehr Startups als in ländlichen Orten geben, aber es gibt sie auch da. Dies gilt im Grunde für alle Zielgruppen. Coworking Spaces auf dem Land fallen deshalb oft kleiner aus als in der Stadt, was die Wirtschaftlichkeit im Ver[1]gleich beeinträchtigt, aber trotzdem gibt es dieselben Bedürfnisse und dasselbe Angebot als Lösung.

Auch Nischenlösungen, wie beispielsweise Coworking Spaces mit flexibler Kinderbetreuung oder manchmal sogar einer eigenen Kita, finden sich bereits auf dem Land. Das ländliche Kultur-, Bildungs- und Erlebniszentrum Hof Viehbrook östlich von Neumünster in Schleswig-Holstein ist ein Beispiel dafür.

Die Nachfrage nach neuen Angeboten auf dem Markt wird in hohem Maße durch die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen gesteuert. Jedes menschliche Bedürfnis, das nicht erfüllt ist, stellt eine potenzielle Geschäftsmöglichkeit dar.

Das gilt auch für Coworking, weshalb es inzwischen eine wachsende Coworking-Szene fern der Metropolen gibt, wo auch die Mehrheit der Menschen in Deutschland wohnt. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass die Menschen auf dem Land und ihre Bedürfnisse nicht voll gesehen oder ernst genommen werden. Die Debatte wird eben leider noch zu oft aus den Großstädten heraus bestimmt und nicht vor Ort.

Bis denn, dann… Tobias Kremkau