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Auf dem grünen Campus zwischen Drohnen und Bienen

„In diesem Jahr stehen die Kulturen gut im Feld, die Pflanzen haben eine akzeptable Wasserversorgung“, sagt Stefan Gille. Gemeinsam mit den Praktikanten Anna Nebrat und Konstantin Storoch aus der Ukraine sieht sich der Leiter der Arbeitsgruppe Feldversuche Versuchsflächen mit Winterweizen, Winter- und Sommergerste, mit Mais und Zuckerrüben an. Etwa hundert Meter von ihnen entfernt fliegt eine Drohne Parzellen ab – mit moderner Luftbildtechnik forscht Ole Christian Spickermann zum Pflanzenbau für seine Promotion. Er hat zuvor in Bernburg Ökotrophologie studiert.

Eng arbeitet Spickermann mit der Arbeitsgruppe Feldversuche zusammen, denn jeder Versuch muss genau geplant und angelegt werden und die Daten aus der Luft werden mit den Ergebnissen am Boden abgeglichen. Wenige hundert Quadratmeter große Kleinparzellenversuche, aber auch mehrere Hektar große Demonstrations- und Produktionsflächen werden so gemeinsam betreut. Daten zur Nährstoff- und Wasserversorgung des Bodens, zur Dichte und Qualität des Pflanzenbestandes, zu Schädlingsbefall und Unkrautdruck werden gesammelt, analysiert und bewertet.

Ziel sei es, Landwirtinnen und Landwirte zu motivieren, moderne Technologien zur Optimierung der Bestandsführung zu nutzen, erklärt Spickermann. Mit ihrer Hilfe könnten beispielsweise frühzeitig Prognosen zu den Erträgen erstellt werden, um abzuwägen, welche Maßnahmen noch zu ergreifen seien und wo Kosten reduziert werden könnten.

Anna Nebrat und Konstantin Storoch erleben, wie landwirtschaftliche Praxis und Forschung in Bernburg ineinandergreifen, und das direkt neben dem Campus. Sie bereiten sich mit ihrem Praktikum nach dem Bachelorabschluss an der Universität in Kiew auf den Masterstudiengang Food and Agribusiness in Bernburg vor. Beide Hochschulen verbindet eine langjährige Partnerschaft. Auf Flächen, auf denen ein Langzeit-Düngeversuch mit Kali und Fruchtfolgeversuche gefahren werden, erfassen sie mit Stefan Gille Daten zur Bodenfeuchte, um Wirkungen auf den Bodenwasservorrat zu untersuchen.

Vorbereitet, um Herausforderungen zu meistern

Gille hat an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Landwirtschaft studiert. Seit 2007 forscht der 39-Jährige an der Hochschule Anhalt in Bernburg. Sein Vergleich: „In Halle kam mehr als die Hälfte der Studierenden nicht aus der Landwirtschaft.“ Das galt auch für ihn, er kompensierte die fehlende Berufserfahrung mit einem Jahr Praktikum. An der Hochschule in Bernburg ist das anders.

„Vor allem berufsbegleitend Studierende wissen, um was es geht. Sie haben Berufspraxis und einen mindestens dreijährigen Arbeitsvertrag in einem landwirtschaftlichen Unternehmen in der Tasche“, bestätigt Bernd Dohmen. Der Professor hat die Verantwortung für den Direkt- und den berufsbegleitenden Bachelorstudiengang.

Eine gute praxisnahe Ausbildung, die den Umgang mit modernsten Technologien, aber auch Öffentlichkeitsarbeit und Argumentationsfähigkeit einschließe, sei wesentlich, um steigende Anforderungen zu meistern. Neben GPS-gestützten Systemen auf dem Feld gewinnen digitale Methoden zur strategischen Anbauplanung und Investitionsanalyse an Bedeutung. So könnten Zukunftsszenarien für den Betrieb abgebildet, Risiken und Chancen abgeschätzt werden.

Dohmen hat in Bonn Landwirtschaft studiert und später in West-Berlin in der Agrarchemie gearbeitet. 1993 kam er nach Bernburg. Drohnen und Computertechnik für digitale Simulationen standen damals noch nicht zur Verfügung. Aber „die Gestaltungsmöglichkeiten in der neu gegründeten Hochschule waren toll, es gab wenig Bürokratie“, erinnert er sich. „Die Hörsäle waren groß und frisch renoviert, aber wenn wir abends nach Hause telefonieren wollten, mussten wir an der Telefonzelle Schlange stehen“, erzählt er schmunzelnd. Doch es dauerte nicht lange, dann überholte der Hochschulstandort mit seiner technischen Ausstattung Einrichtungen in den alten Bundesländern.

„Bernburg blickt in diesem Jahr auf 60 Jahre Hochschultradition zurück“, sagt Dieter Orzessek, heute Professor im Ruhestand. Er hat in Halle Agrarwissenschaften studiert und dort promoviert. Er war zunächst Dekan des grünen Fachbereiches, später Rektor bzw. Präsident der Hochschule Anhalt.

Zuvor erfolgten an der Hochschule für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft Bernburg die Habilitation und 1987 die Berufung als Professor für Grundlagen der Pflanzenproduktion. Von 1990 bis 1993 war er Rektor der Hochschule. „In Bernburg wurden Diplom-Landwirte und Diplom-Gärtner in einem auch aus heutiger Sicht sehr modernen kombinierten Studium ausgebildet“, berichtet Dieter Orzessek. Nach einer Umprofilierung konnte man dort Agrarökonomie und Betriebswirtschaft für die Nahrungsgüterwirtschaft studieren. Mit der politischen Wende wurde manches infrage gestellt, Hochschulen und Fachbereiche wurden abgewickelt. Neue Strukturen wurden geschaffen, die Hochschule für Nahrungsgüterwirtschaft wurde 1993 geschlossen, auf Empfehlung des Wissenschaftsrates der Bundesrepublik Deutschland wurde 1991 die Hochschule Anhalt mit drei Standorten gegründet.

Aufgrund der Tradition und Lage hatte der Wissenschaftsrat vorgeschlagen, den Studiengang Landwirtschaft in Bernburg zu etablieren sowie die Studiengänge Landschaftspflege und Ökotrophologie zu entwickeln. Wider Erwarten gab es Anlaufschwierigkeiten in der Sparte Landwirtschaft: Während gewachsene Agrarstrukturen zerfielen, gab es kaum Immatrikulationen. Stattdessen kamen zunächst Absolventen der abgewickelten Agraringenieurschulen, die mit einem Jahr Studium an der Hochschule in Bernburg die Anerkennung ihrer Abschlüsse erlangen konnten. „Ich habe in einem Jahr 30 Diplomarbeiten betreut. Was half es, die Studierenden mussten ja fertig werden“, erinnert sich Dieter Orzessek.

Nach der holprigen Anfangszeit hat sich der Studiengang Landwirtschaft prächtig entwickelt, setzte sich mit den Immatrikulationszahlen in den meisten Jahren an die Spitze. „Nach Bernburg kommen vor allem robuste Praktikerinnen und Praktiker, Menschen, die von klein auf mit ihrem Hof verwurzelt sind“, sagt Orzessek.

Praxistage online

Das Praktische in der Lehre blieb allerdings coronabedingt in den vergangenen Monaten auf der Strecke. „Wir können vieles online machen, aber Präsenz ist nicht zu ersetzen“, sagt Professor Heiko Scholz. Sein Lehrgebiet ist die Tierproduktion und die Ökonomik in der Tierproduktion. Das Zentrum für Tierhaltung und Technik der LLG in Iden (Altmark) ist hierfür ein wichtiger Partner. Heiko Scholz hat nach der Ausbildung zum Agrotechniker an der Fachschule in Haldensleben und anschließend an der Hochschule in Bernburg Landwirtschaft studiert und in Iden promoviert. In Forschungskooperationen mit Mutterkuh-, Milchvieh- und Schweine-haltenden Betrieben untersucht der 50-Jährige Futter und beprobt Ausscheidungen von Tieren, um die Fütterung zu optimieren und Tierwohl zu planen. Heiko Scholz berät die Arbeitsgruppe Tierwohl in Sachsen-Anhalt und organisiert die jährlichen Mitteldeutschen Rinder- und Schweineworkshops, die in diesem Jahr online stattfanden.

Online wurden auch die Praxistage mit den Studierenden durchgeführt. „Ich saß auf einer Wiese vor der Kamera, um zu zeigen, wie man Grünland bonitiert. In Iden waren meine Studierenden online dabei, als ich Rindern Harnproben nahm“, schildert der Professor. „Es ist ein Unterschied, ob man nur zusieht oder ob man das selbst macht. Manches muss man fühlen.“

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