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Von zeitlosen Formen und Veränderungen des Zeitgeists

Nach welchen Kriterien funktioniert der Raum? Wie kann man mit Kuben nur durch eine Veränderung der Anordnung von Körpern aus der Statik in die Bewegung kommen? Wie wird aus Abständen ein Rhythmus? Mit Carl-Constantin Weber führt der Weg der Studierenden der Architectural and Cultural Heritage über die Kunst. Der Professor für Gestaltung ist Plastiker und Bildhauer. Nach der Berufsausbildung zum Steinbildhauer und Bronzegießer hat Weber an der TU Braunschweig, an der Hochschule für Kunst in Bremen und an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. Seit 2006 lehrt er an der Hochschule Anhalt in Dessau.

Im ersten Workshop in Präsenz nach vielen Monaten der Beschränkung auf Online-Lehre genießen der Professor und seine Studierenden bei einer Kompositionsübung das gemeinsame plastische Gestalten. „Bevor der Architekt beginnt, den ganzen großen Komplex multipler Bedingungen zu klären, die mit einem Bauwerk erfüllt werden sollen, muss er über Formen nachdenken“, betont Cal-Constantin Weber: „Zuerst zum Künstler!“ Die Studierenden beschäftigen sich mit den räumlichen Kriterien, nach denen der Raum funktioniert, entdecken das Wesen der Formen – unabhängig vom Zeitgeist. „Das ist wichtiges Handwerkszeug, um beim Entwerfen von Gebäuden die gestellten Aufgaben bewältigen zu können“, so der 54-Jährige.

Die Architektur einer Stadt verstehen

Mit Daniela Spiegel führt der Weg zur Architektur über Kunst- und Baugeschichte. Die 47-Jährige hat in Berlin an der Hochschule der Künste Kunstwissenschaft studiert, mit klassischer Archäologie, italienischer Literaturwissenschaft und Denkmalpflege in den Nebenfächern. Von der TU Berlin, wo sie im Fachgebiet Historische Bauforschung lehrte und forschte, führte ihr Weg über die Professur Denkmalpflege und Baugeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar 2019 nach Dessau. „Mich interessiert, warum Gebäude aussehen, wie sie aussehen“, erklärt sie.

In der 1919 gegründeten Bauhaus-Hochschule wurde keine Kunstgeschichte gelehrt, Bauhaus hat sich vom Alten, von Regeln und Zwängen befreit. Die Schubladen des Barocks, der Gotik und Renaissance wurden geschlossen, um fundamental neu zu denken. Dafür steht Bauhaus. Um ein Gefühl für diese Zeit zu haben, nimmt Daniela Spiegel die Erstsemester mit in eine Bauhausführung.

Im heutigen Architekturstudium sind die Schubladen der Stilepochen wieder geöffnet. Die Professorin erklärt, warum es wichtig ist, sich mit den künstlerischen und architektonischen Ausdrucksweisen vergangener Epochen zu befassen und sie in historischen Zusammenhängen zu sehen: „Nur so können wir die Architektur einer Stadt richtig verstehen.“ Ihr besonderes Interesse gilt dabei auch dem unbequemen Architekturerbe von Diktaturen, der Bauweise und Stadtplanung während des italienischen und deutschen Faschismus.

„Architektur entwickelt sich ständig weiter“, sagt Rudolf Lückmann, Professor für Denkmalpflege und Baukonstruktion. Die Moderne sei inzwischen alt, heute gehe es darum, das Bauhaus mit aktuellen Themen zu versöhnen. Dazu gehörten Nachhaltigkeit und die Wandlung innerstädtischer Quartiere. „Vor hundert Jahren spielte der Kohleverbrauch keine Rolle. Fenster waren einfachverglast, Wärmedämmung war kein Thema“, so der 62-Jährige. Heute werden ökologische Aspekte beim Bauen berücksichtigt – vom Material bis zur Gebäudetechnik. Auch die Corona-Pandemie stellt neue Anforderungen an Stadtplanung und -gestaltung: „Onlineshopping boomt, Innenstädte verwaisen, der stationäre Einzelhandel gibt oftmals auf. Für die Nutzung der Ladengeschäfte wollen wir neue Lösungen schaffen. Auch aus der Zunahme des Homeoffice ergeben sich neue Fragen“, so Lückmann: Wie verändern sich Anforderungen an Bürogebäude? Welche Sicherheitsstufen werden gebraucht, um Gruppen voneinander abzugrenzen? Es sei wichtig, die Architektur ganzheitlich zu sehen, für neue Situationen flexible Lösungen zu entwickeln. „Wir diskutieren das in den Seminaren und die Studierenden nehmen diese Ideen mit.“

Kammerfähigkeit angepeilt

Architektinnen und Architekten seien Generalisten, sagt Lückmann. „Sie müssen nicht jedes Detail einer Photovoltaikanlage kennen, aber müssen wissen, wie der Aufbau der Anlage auf dem Dach mit dem Dachdecken zu verzahnen ist. Sie müssen in der Lage sein, unterschiedliches Fachwissen zu verbinden und verschiedene Gewerke für gemeinsame Lösungen an einen Tisch zu bringen.“ Auf diese Aufgabe sind die Absolventen der Hochschule Anhalt gut vorbereitet.

Gemeinsam mit Daniela Spiegel arbeitet Rudolf Lückmann daran, den Masterstudiengang Denkmalpflege als konsekutive Fortsetzung des Bachelorstudiengangs Architektur weiterzuentwickeln. „Das Bauen im Bestand, in der Baulücke und die Erhaltung denkmalgeschützter Gebäude werden immer wichtiger“, erklärt Spiegel. Bisher hat dieser Masterstudiengang keine Kammerfähigkeit: Wer sich als Architekt selbständig machen möchte, muss noch einen postgradualen Studiengang draufsatteln. „Zurzeit ist die konjunkturelle Situation aber so, dass die Absolventen schnell Arbeit finden. Deshalb wäre es cool, wenn sie mit dem Masterabschluss in der Tasche und nach einiger Praxiserfahrung in einem Architektenbüro selbständig durchstarten könnten.“ Kammerordnungen werden durchforstet, um den Masterstudiengang Denkmalpflege den Anforderungen entsprechend neu auszurichten.

In die Denkmalpflege investiert Rudolf Lückmann seit seinem Architekturstudium in Aachen und Praktikum am Kölner Dom viel Herzblut. 1987 promovierte er zum Thema Fachwerkhäuser und arbeitete parallel dazu am Kölner Dom als Architekt. Ein Jahr leitete er die Dombauhütte. Danach war er der Diözesanverantwortliche für die Gebäude der katholischen Kirche in Württemberg. „Als Doktorand habe ich Professor Helmut Strehl, den Gründungsdekan der Hochschule in Dessau, kennengelernt. Er fragte mich, ob ich Lust hätte, die neue Hochschule mit aufzubauen.“ Die in Aussicht gestellte Stelle für Denkmalpflege ließ vier Jahre auf sich warten. Als es endlich losgehen konnte, wurde Lückmann sogleich als Prodekan in die Verantwortung genommen.

Der unglaubliche Wille der Mitarbeiter zum Aufbau und die positive Stimmung machten damalige bauliche und technische Mängel wett, sagt er. An seine erste Vorlesung erinnert er sich, als wäre es gestern gewesen: Mit einer Kiste Dias kam er gut vorbereitet in den großen Hörsaal im heutigen Lyzeum. Zuerst wurde der Diaprojektor gesucht, dann eine Verlängerungsschnur. Als endlich alles da war, kam kein Strom aus der Steckdose. „Da habe ich dann etwas aus meinem Leben erzählt“, sagt er lachend. In Dessau habe man sich nicht auf Probleme, sondern auf kreative Lösungen fokussiert und fleißig Förderanträge geschrieben. Mit großem Erfolg. Lückmann ist verantwortlich für den gemeinsamen Masterstudiengang Denkmalpflege / Heritage Management mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, leitet den englischsprachigen Kurs „Master of Architecture and Cultural Heritage“ und den Bachelorstudiengang „Architecture in Vietnam“.

Architekten müssen künstlerische und handwerkliche Begabungen haben, betont der Professor. Aber im Unterschied zur freien Kunst, muss die Kunst realisiert werden: „Man muss durch die Tür, die man entworfen hat, auch durchgehen können.“ Praktische Erfahrungen vor dem Studium seien deshalb hilfreich: „Das räumliche Denken und dass man Toleranzen einplanen muss, lernt man in der Schule nicht, das lernt man, wenn man Tür und Zargen einmal selbst gebaut und eingesetzt hat!“

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