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Auf verschiedenen (Bildungs-)Wegen zum Erfolg

„Probieren Sie’s", hat Professorin Andrea Jurisch zu mir gesagt“, erzählt Marcus Viertel. Er hat es nicht nur probiert, sondern alles darangesetzt, dass sein Maschinenbaustudium an der Hochschule Anhalt in Köthen ein Erfolg wird – auch ohne Abitur. Der 31-Jährige ist heute Laboringenieur im Fachgebiet Spanende und abtragende Fertigung – CAM und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Werkstofftechnik. Die Promotion ist das nächste berufliche Ziel, das er anpeilt.

Als Marcus Viertel mit dem erweiterten Realschulabschluss in die Ausbildung zum Werkzeugmechaniker gestartet war, hatten Gedanken an ein Studium noch keinen Platz in seinen Zukunftsplänen. Auf die Lehre folgten drei Jahre im Werkzeugneu- und Instandhaltungsbau in einem mittelständischen Unternehmen im Landkreis Wittenberg. „Meine Arbeit hat mir Spaß gemacht“, sagt er. Aber dem programmieraffinen jungen Mann genügte es bald nicht mehr, nur die vorhandene Technik nach vorgegebenen Abläufen zu bedienen. Es musste mehr geben, mehr computergestützte Fertigung, mehr Neues.

Wer aus der Praxis kommt, weiß, was er will

Die Eintrittskarte zum Studium ohne Abitur verdiente sich Marcus Viertel in einem Eignungstest bei Mathematik-Professorin Andrea Jurisch. Die Studienfachberaterin für den Vollzeit-Bachelor- und Masterstudiengang Maschinenbau ermutigte ihn, für seinen Traum zu kämpfen. Aus langjähriger Erfahrung weiß sie, dass es nicht allein auf Schulnoten ankommt, damit Studierende erfolgreich sind: „Wer für das Fach brennt, Fleiß und Durchhaltevermögen aufbringt, schafft es auch.“ Ihre Ansage hat Marcus Viertel angespornt.

Spürt Andrea Jurisch dagegen, dass jemand unter der getroffenen Wahl des Studiengangs leidet, sieht ihre Empfehlung anders aus: „Wichtig ist, was für den Betreffenden gut ist. Wer während des Studiums keine Freude an seinem Fachgebiet hat, wird auch später im Beruf nicht glücklich. Dann ist es besser, sich neu zu entscheiden, das ist keine Schande.“ Das Problem: Viele Abiturientinnen und Abiturienten haben noch nie ein Stück Metall bearbeitet und bringen falsche Vorstellungen mit.

„Wer aus der Praxis kommt, weiß, was er will“, sagt Hans-Heino Hiekel, Professor im Ruhestand. Aktuell hält der 69-Jährige Vorlesungen in den Fächern Elektrotechnik, Messtechnik sowie Steuerungs- und Regelungstechnik. 19 Jahre war er Studienfachberater für das berufsbegleitende Maschinenbaustudium – einen Fernstudiengang, der in seiner Ausprägung seinesgleichen in Deutschland sucht. „Einige unserer berufsbegleitend Studierenden haben bereits wie Ingenieure gearbeitet, kamen jedoch ohne abgeschlossenes Studium mit der Karriere nicht weiter. Sie sind hoch motiviert und gehen sehr effektiv an das Studium heran“, weiß Hiekel.

Frauen „verirren“ sich eher selten nach dem Abitur in den Vollzeit-Studiengang – wohl weil der Umgang mit metallbearbeitenden Verfahren an Gymnasien so gut wie nicht vorkommt und am Maschinenbau noch immer das Image von Öl und Lärm klebt.  Dagegen liegt der Frauenanteil im berufsbegleitenden Studiengang bei 25 bis 30 Prozent. Frauen aus technischen Berufen wissen, dass sie sich auch als Bachelor oder Master noch ab und zu die Finger schmutzig machen werden, dass Maschinenbau aber so viel mehr zu bieten hat: Mit Digitalisierung und neuen Denkweisen wächst der Raum der Möglichkeiten, um Fertigungsprozesse und Arbeitswelten mitzugestalten.   

Auch Sebastian Gersch ist fasziniert von diesen Möglichkeiten, auch er wollte mehr nach seiner Berufsausbildung zum Industriemechatroniker und der Arbeit im Braunkohlekraftwerk in Helmstedt. Er hat das Fachabitur nachgeholt und sich dann für das Maschinenbaustudium in Köthen entschieden. Zwischen Studienbeginn und der jetzigen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für nichtmetallische 3D-Druck-Technik liegen spannende Erfahrungen: Für den Bachelorabschluss arbeitete er an der Nordsee bei der Meyer Werft und war als Absolvent in der Forschung und Entwicklung am Bau der AIDA nova beteiligt, erzählt der 30-Jährige.

Die Masterarbeit widmete Gersch dem Resonanzpulsator, mit dem statisch eingespannte Bauteile auf Biegungen geprüft und die dabei wirkenden Kräfte untersucht werden. Selbst für verwinkelte Bauteile kann berechnet werden, wie lange sie mit welchen Kräften beansprucht werden können, bis Materialermüdung auftritt. So kann entschieden werden, ob und wie Bauteile verstärkt oder Materialmischungen verändert werden sollten.

Nach einer Zusatzqualifikation zum Schweißfachingenieur in Halle an der Saale verbinden sich die erworbenen Kompetenzen im aktuellen Projekt: Im Team mit Professor Carsten Schulz und Professor Holger Gruss forscht Sebastian Gersch an Bauteilen, die durch generatives Schweißen ähnlich wie beim 3D-Druck durch schichtweises Auftragen entstehen. „Mit gezielter Abkühlung können wir Eigenspannungen im Inneren des Bauteils erzielen und damit Material sparen oder die Betriebsfestigkeit erhöhen“, sagt er. „Wir berechnen und simulieren das am Computer.“ Das sei sehr abwechslungsreich, schwärmt Gersch: „Für mich ein Traumjob.“

Fachübergreifend anspruchsvoll

„Wir sind interdisziplinär unterwegs“, sagt Marcus Viertel, „wir bearbeiten Projekte, in denen Kompetenzen aus den Fachgebieten Mechanik, Konstruktion und Informatik, aber auch aus Messtechnik und Qualitätsmanagement gefordert sind.“ Features für CAD/CAM-Programme zu entwickeln, die nicht nur die Geometrie berücksichtigen, sondern auch Fertigungs- und Werkstoffparameter, gehört zu den Herausforderungen, die Marcus Viertel liebt und als Dozent aktiv lehrt.

Nicht nur wissenschaftliche Mitarbeiter und Professoren, auch Studierende wirken an vielen anspruchsvollen Projekten mit, zum Beispiel an der Entwicklung von Fahrzeugtechnik der Zukunft, berichtet Professor Ulrich-Michael Eisentraut. Nach dem Bau eines windschnittigen Solarcar-Rennwagens, der 2012 einem Gebäudebrand zum Opfer fiel, wird aktuell ein älterer Mercedes mit Verbrennungsmotor als E-Auto neu aufgebaut. „Die Studierenden sind mit Begeisterung dabei“, berichtet der 65-jährige Professor für Fahrzeugtechnik und Technische Mechanik. „Sie bauen den Pkw auseinander, digitalisieren Karosserie und Innenleben, berechnen die Veränderungen für Batterie, Antrieb und Achsen und stellen die Teile im 3D-Druckverfahren her. Computergestützte Konstruktion und Fertigung werden geübt.“

Der Mercedes steht im 2020 eingeweihten Technikum für Angewandte Mechanik, dort hat auch der große Resonanzpulsator seinen Platz. Von der traditionellen Mechanik, von Bauteilen und Systemen zum Anfassen, bis zur digitalen Simulation wird der Bogen gespannt. Mit CAD, CAE, CAM und CAQ, also der CAx-Kette, wird der Fokus auf eine durchgängige Datenstruktur von der computergestützten Konstruktion über die Berechnung und Fertigung bis zur Werkstoffprüfung gelegt.

„Der Campus hat sich toll entwickelt“, betont Hans-Heino Hiekel. „Vor 30 Jahren haben wir hier teilweise in schlecht isolierten Baracken mit knarrenden Fußböden begonnen, die Technik in den Hörsälen beschränkte sich auf den Overheadprojektor.“ Heute sind die Hörsäle und Seminarräume mit Beamern und Funkmikrofonen ausgestattet, überall gibt es WLAN-Zugang und für die digitale Konstruktion stehen äußerst leistungsfähige Computer zur Verfügung.

Um junge Absolventinnen und Absolventen auf den Markt zu schicken, die nach neuesten Erkenntnissen ausgebildet wurden, sind im Direktstudiengang Maschinenbau die Themen Digitalisierung und Datendurchgängigkeit stärker eingebracht worden. Nun wird der berufsbegleitende Studiengang neu zugeschnitten, Fächer werden neu gewichtet und das Studium bei gleichbleibend 180 Credits von neun auf acht Semester verkürzt. „Damit erkennen wir die Berufskompetenz der Studierenden an“, erklärt Eisentraut.

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