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Die Brückenbauerin

Margitta Kunze ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Studierende aus dem Ausland an der Hochschule Anhalt ausgebildet werden. Mit großem persönlichen Engagement sorgte sie dafür, dass internationale Studierende und die Menschen in Köthen enger zusammenrückten.


Frau Kunze, 1980 führte Sie Ihr Weg vom Königsee aus Thüringen nach Köthen, um an der damaligen Ingenieurhochschule Deutsch und Russisch zu unterrichten. Wie kam es dazu?

Margitta Kunze: Während meines Studiums lernte ich meinen Mann kennen. Er stammt aus Köthen und wollte dorthin sehr gerne wieder zurück. Als ich mich in Köthen nach einer Versetzung erkundigte, hatte ich das Gefühl, ich kam gerade zur rechten Zeit. Die Ingenieurhochschule hatte, genau zu meinem Profil passend, eine Stelle ausgeschrieben. 1980 sollten im Wintersemester Vorbereitungskurse für ausländische Studierende an der Hochschule in Köthen beginnen. Der Auftrag dazu kam vom Herder-Institut. Im August 1980 fing ich an, im September kamen die ersten Studierenden.

[Anmerkung der Redaktion: Das Herder-Institut bereitete in der DDR internationale Studierende auf ein Studium vor und ist heute etwa mit dem Goethe-Institut vergleichbar.]

 

Meine erste Gruppe waren Studierende aus Nicaragua, Sudan, Kolumbien.

 

Wie erlebten Sie die damalige Zeit an der Hochschule? Wer waren Ihre Schülerinnen und Schüler?

Es war eine völlige Umstellung für mich. Ich hatte vorher Schülerinnen und Schüler von Klasse sechs bis Klasse 10, von zwölf bis sechzehn Jahren. Und nun waren die ältesten meiner Studierenden so alt wie ich oder älter. Meine erste Gruppe waren Studierende aus Nicaragua, Sudan, Kolumbien. Zwei Studenten aus Nicaragua kamen aus dem Bürgerkrieg. Einer war Richtkanonier und ein anderer Sanitäter, der operierte, ohne das jemals studiert zu haben. Das waren gestandene Leute, die nichts mehr mit Mathematik zu tun hatten. Und so ähnlich gingen die Geschichten weiter. Nur drei Jahre später übernahm ich die Leitung und war verantwortlich für die Prüfungen, die Abläufe und Weiterbildungen. Und als 1991 die Fachhochschule Anhalt und zeitgleich mit ihr auch das Landesstudienkolleg neu gegründet wurde, musste ich mich erneut auf einige Herausforderungen einlassen.

 

Neben Ihrer Tätigkeit als Leiterin und als Lehrerin haben Sie bestimmt auch viele ungewöhnliche Aufgaben erledigt. Gab es eigentlich so etwas wie eine klassische Arbeitswoche? Falls, ja, wie sah die aus? Und wie haben Sie es geschafft, dass die Studierenden mit den Menschen in der Stadt zusammenrücken?

Eine geregelte Arbeitswoche gab es schon. Aber es gab eben viele Sachen, die wir zusätzlich erledigten. Oft sind wir mit den Studierenden nach ihrer Ankunft in die Stadt gegangen, um sie einzukleiden. Wir gingen nie in größeren Gruppen, denn so traurig es ist, wenn ich das sage, aber es gab Menschen, die die Straßenseite wechselten, wenn wir unterwegs waren. Über die Schulen haben wir es dann geschafft, Brücken zu bauen und das gegenseitige Kennenlernen zu ermöglichen.


Sie haben auch einen internationalen Studententag initiiert…


Ja, vor genau zwanzig Jahren. Er fand im Jahr 2001 erstmalig in der Köthener Martinskirche statt. Den Anstoß dazu gab der damalige Präsident, Professor Dieter Orzessek. Er sagte, Frau Kunze, Sie machen doch so viel mit den Studierenden. Warum lassen Sie nicht die Bürgerinnen und Bürger aus Köthen daran teilhaben? Also haben wir uns im Team zusammengesetzt und überlegt, was wir anbieten können. Die Studierenden waren von der Idee, ein Fest für die Bürgerinnen und Bürger zu gestalten, sofort Feuer und Flamme. Sie wollten so gerne etwas aus ihren Heimatländern zeigen. Längst hat sich der internationale Studententag zu einer sehr beliebten Veranstaltung in Köthen entwickelt.

 

Im Jahr 2017 erhielten Sie und Ihr Team den Preis des Auswärtigen Amtes für die exzellente Betreuung ausländischer Studierender, zudem sind Sie Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Was war ihr erster Gedanke, als Sie von der Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz erfuhren?

Ich habe den Brief im September 2020 von der Staatskanzlei bekommen. Ich war so erstaunt darüber, dass ich es am Anfang gar nicht glauben konnte. Natürlich war ich dann auch wirklich stolz. Betonen muss ich aber auch, dass ich die Arbeit dazu nicht allein geleistet habe. Allein wäre es mir unmöglich gewesen, das Studienkolleg so groß werden zu lassen. Wenn nicht das gesamte Kollegium dahintergestanden hätte, wäre es nicht gegangen.

 

Die internationalen Studierenden gehören somit zum Stadtbild von Köthen dazu. Manche von ihnen bleiben für immer, gründen Familien, engagieren sich in Vereinen – und ändern auch die deutsche Gesellschaft. Bundespräsident Steinmeier hat kürzlich anlässlich des Jubiläums des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens davon gesprochen, Deutschland sei ein Land mit Migrationshintergrund. Sind Sie stolz darauf, dass Sie mit Ihrer Arbeit an dieser Entwicklung mitgewirkt haben?

Eigentlich ja. Die Arbeit mit den ausländischen Studierenden war zu 99 Prozent erfolgreich. Und selbst bei denjenigen, die wir wieder zurückschicken mussten, sind die Weichen in die richtige Richtung gestellt worden. Sie haben einen Eindruck von Deutschland erhalten und die deutsche Sprache gelernt. Einige haben heute aufgrund ihrer Deutschkenntnisse sehr gute Arbeitsverhältnisse. So ist unser Engagement auf jeden Fall nachhaltig: Ich kenne sehr viele Studierende, die in Deutschland eine sehr gute Arbeit bekommen haben. Und wer sich dafür entscheidet, mit seinem Hochschulabschluss aus Deutschland wieder in seine Heimat zurückzukehren, hilft auf diese Weise seinem Land. Das war ja von Anfang an das eigentliche Ziel. Inzwischen benötigt aber auch Deutschland Fachkräfte und insofern bin ich ganz glücklich, dass auch die zwei Nicaraguaner aus meiner ersten Gruppe geblieben sind: Sie haben Biotechnologie studiert und arbeiten beide in Deutschland.


Kritische Stimmen bemängeln oft, dass internationale Studierende für das Ausland ausgebildet werden statt in Deutschland zu bleiben. Sehen Sie das auch so?

Das kommt auf das Land an. Nehmen wir Marokko als Beispiel: Wer einen Abschluss schafft, der bleibt auch hier. Deutschland bietet einfach bessere Jobs und ein besseres Leben. Das ist in China, Vietnam oder zum großen Teil auch in Indonesien anders. Die Mentalität spielt eine große Rolle: Familie ist das A und O. Sie bleiben wenige Jahre hier, sammeln Berufserfahrungen und kehren nach Hause zurück. Das muss man auch sehen und aus meiner Sicht ist das auch verständlich. Ich sehe aber auch, dass die in ihre Heimat zurückgekehrten Studierenden gleichwohl eine enge Bindung nach Deutschland haben. Sie nutzen etwa ihre Erfahrungen und Kenntnisse für Handelsverträge oder internationale Kooperationen. Davon profitiert Deutschland ja auch. Ich kenne Studierende, die arbeiten heute im Ministerium ihres Landes. Dort können sie einiges bewegen. Ich sehe sie als Botschafterinnen und Botschafter für Deutschland und das kann nicht verkehrt sein.

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