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Nachhaltiges Design heute: Für Ästhetik und Umweltschutz

  • Symbolbild Nachhaltiges Design: Quadratische Schachteln aus Karton mit geöffnetem Deckel

Die Dinge des Alltags sollten lange Zeit vor allem zweierlei sein: schön und nützlich. Mit den globalen Krisen ist ein drittes Kriterium unausweichlich geworden: die Nachhaltigkeit. Wie verändert sie Design? Oder muss sich gar nicht so viel ändern, weil nachhaltige Ideen schon lange mitgedacht werden? Neue Fragen für den Klimablog, gestellt an: Martin Wiesner vom Fachbereich Design. Ihn begeistern Fragen der Nachhaltigkeit im Produkt- und Industriedesign seit seinem Studium. Jetzt sind sie fester Bestandteil seiner Forschung an der Hochschule Anhalt, seiner Lehrveranstaltung im Maschinenbau, in seiner Arbeit als Werkstattleiter "Interaction Design" und in Vorträgen.

Nachhaltiges Design ist kein neues Konzept. Es mangelt nicht an Methoden zur Bewertung von Nachhaltigkeit, sondern an deren einfacher und breiter Anwendung.

Martin Wiesner

Herr Wiesner, wenn wir heute von nachhaltigem Design sprechen: Was gehört dazu und wie lässt sich damit im Idealfall die Umwelt schützen?

Nachhaltiges Design geht weit über die traditionellen Erwartungen hinaus, Alltagsgegenstände lediglich "schön und nützlich" zu gestalten. Diese Charakterisierung greift zu kurz und spiegelt kaum das breite Spektrum der Designverantwortung wider, da kaum ein ernsthafter Designer sich darauf beschränken würde, Dinge nur schön zu machen. Es ist vielmehr die Aufgabe von Designerinnen und Designern, durch ihre Arbeit Probleme zu lösen und zum Wohlbefinden aller beizutragen, was heute mehr denn je auch die Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Auswirkungen einschließt.

Design für Nachhaltigkeit erweitert den Fokus traditioneller Designprinzipien um die Dimensionen der ökologischen und sozialen Verantwortung. Unter planetaren Grenzen verstehen wir die ökologischen Schwellenwerte, die nicht überschritten werden dürfen, um das langfristige Überleben der Ökosysteme zu sichern – eine direkte Verbindung zur intergenerationellen Gerechtigkeit. Dieses Prinzip verlangt von uns, Design so zu betreiben, dass die Bedürfnisse der heutigen Menschen befriedigt werden, ohne die Chancen zukünftiger Generationen zu schmälern.

Die sozialen Grenzen hingegen beziehen sich auf die intragenerationelle Gerechtigkeit, also die faire Verteilung von Ressourcen und Chancen innerhalb der aktuellen Generation. Hier geht es darum, ein Design zu schaffen, das die Bedürfnisse aller Gesellschaftsschichten berücksichtigt und insbesondere benachteiligten Bevölkerungsteilen zugutekommt.

Ein planetenzentriertes Design bewegt sich demnach innerhalb dieser Grenzen und zielt darauf ab, Produkte zu schaffen, die sowohl für unsere Mitmenschen heute als auch für unseren Planeten morgen verantwortungsvoll sind. Es fordert uns auf, über den unmittelbaren Nutzen hinaus zu denken und stattdessen die langfristigen Auswirkungen unserer Entwürfe zu bedenken.

Nachhaltiges Design schützt die Umwelt, indem es Designlösungen fördert, die weniger Emissionen verursachen und den Ressourcenverbrauch senken. Durch Verzicht auf physischen Besitz zugunsten digitaler oder servicebasierter Alternativen (Suffizienz), effizientere Nutzung von Materialien und Energie während des gesamten Lebenszyklus‘ eines Produkts (Ökoeffizienz) und durch die Schaffung von Produkten, die am Ende ihrer Nutzung recycelbar oder kompostierbar sind (Ökoeffektivität), wird die Umweltbelastung minimiert. So tragen wir dazu bei, dass heutige und zukünftige Generationen auf einem gesunden Planeten leben können.


10000
Gegenstände besitzt in etwa jeder durchschnittliche Haushalt

Ein Design für mehr Nachhaltigkeit – Ideen dazu gibt es seit den 60er Jahren. Gleichzeitig ist der Verbrauch an Erden im Jahr inzwischen auf 2 bis 3 gestiegen, unsere Müllberge sind gewachsen. Kann nachhaltiges Design daran überhaupt etwas ändern?

Nachhaltiges Design ist kein neues Konzept, die Herausforderung liegt heute weniger darin Wissen dazu zu anzuhäufen, sondern es kreativ und effizient in die Praxis der Unternehmen zu bringen und wirklich alles, was wir in die Welt bringen, danach auszurichten. Es mangelt nicht an Methoden zur Bewertung von Nachhaltigkeit, sondern an deren einfacher und breiter Anwendung.

In diesem Kontext haben Designerinnen und Designer die Möglichkeit, einen signifikanten Unterschied zu machen. Sie können Nachhaltigkeit nicht nur messen und daraufhin verbessert gestalten, sondern auch alternative Produktnutzungskonzepte gestalten (Suffizienz) oder Materialkreisläufe grundlegend neu erdenken (Ökoeffektivität). Während das Ingenieurwesen sich auf die stetige Verbesserung von Ökoeffizienz konzentriert, öffnen Designer mit ökoeffektiven Kreislaufkonzepten und Suffizienzprinzipien Wege für zukunftsfähige Lebensstile. Durch die Entwicklung neuer zirkulärer Geschäftsmodelle und kollaborativer Konsumformen tragen Designer dazu bei, den globalen Ressourcenverbrauch zu reduzieren und Müllproduktion und Emissionen zu minimieren. Und abschießend können Designerinnen und Designer Nachhaltigkeit gelungen kommunizieren, abseits von Greenwashing und abgenutzter Stereotype.

Als Designer und Ingenieur in einer akademischen Einrichtung trage ich eine besondere Verantwortung, Nachhaltigkeit in der Lehre, in Veröffentlichungen und in Kooperationsprojekten voranzutreiben. In meiner Rolle ist es entscheidend, Studierenden die Bedeutung und Anwendung nachhaltiger Prinzipien zu vermitteln und sie zu ermutigen, diese in ihre zukünftigen Projekte zu integrieren. Gleichzeitig ist es meine Aufgabe, durch Forschung und Veröffentlichungen das Bewusstsein und Verständnis von Nachhaltigkeit zu schärfen und die Diskussion zu bereichern. Ich verfolge das Ziel, Wissen und Innovationen zu teilen, die die Grundlage für eine verantwortungsvolle Gestaltung der Zukunft bilden. Durch diese integrierte Herangehensweise möchte ich einen Beitrag leisten, der über den Vorlesungsraum und das Labor hinausgeht und einen realen Einfluss auf die Gesellschaft und Umwelt ausübt.

Nachhaltiges Design: Für Martin Wiesner und seine Studierenden eine Frage des Prinzips.

Welche Prinzipien und Ansätze werden an der Hochschule Anhalt gelehrt, um nachhaltiges Design zu fördern?

An der Hochschule Anhalt werden Studierenden verschiedene Prinzipien und Methoden vermittelt, um nachhaltiges Design zu praktizieren und zu fördern. Der Lehrplan umfasst eine gründliche Auseinandersetzung mit Designtheorien, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind wie bei Professor Hohl. Im Materiability Lab von Professor Kretzer explorieren wir innovative, umweltfreundliche Materialien und fokussieren uns auf die soziale Komponente in Projekten zum Social Design wie bei Professor Hartwig. Praktische Projekte, wie das Upcycling von Möbeln, bieten den Studierenden die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in realen Anwendungen zu vertiefen.

Neben der grundlegenden Ausbildung ist eine interdisziplinäre Ringvorlesung etabliert, die eine Vielzahl von nachhaltigkeitsbezogenen Themen abdeckt, um die Breite und Tiefe dieses wichtigen Feldes zu illustrieren.

Um diese Lehrangebote weiter zu vertiefen und zu spezialisieren, arbeite ich aktuell an der Implementierung eines Hands-on-Fachpraktikums „Sustainable Design“ in meiner Werkstatt Interaction Design. Ziel ist es, mit den Studierenden in einer intensiven Workshop-Woche vollständig in nachhaltiges Denken und Entwerfen einzutauchen und Nachhaltigkeit über eine punktuelle Betrachtung hinaus zu einem zentralen Element ihres Designs zu machen.

Zusätzlich plane ich, im Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Wirtschaft (EMW) ein Wahlfach „Nachhaltiges Design“ zu etablieren, das Studierende regelmäßig mit den praktischen und theoretischen Facetten nachhaltiger Designansätze vertraut macht. Hierbei wird auch Wert daraufgelegt, Nachhaltigkeit in Konstruktionswerkzeuge und -methoden zu integrieren und damit die Studierenden für die Anforderungen einer zunehmend umweltbewussten Industrie zu rüsten. 

Welche praktischen Projekte haben Studierende schon realisiert?

Studierende haben bereits vielversprechende Nachhaltigkeitsprojekte realisiert: Der „Sauberkasten“ beispielsweise erlaubt es, mit natürlichen Zutaten eigene Reinigungsmittel zu erstellen (Jeanette Schmidt), und eine Abschlussarbeit präsentiert den Zunderschwamm als ökologische Alternative zu Leder für Kopfhörer (Jessica Bösherz).

Diese Projekte stehen exemplarisch für den breit gefächerten Nachhaltigkeitsansatz im Integrierten Design, der auch das Forschungsprojekt New European Bauhaus in Zeitz prägen könnte. Hierbei würde eine Materialdatenbank im Mittelpunkt stehen, die das Prinzip der Nachhaltigkeit und des Kreislaufdenkens auf den Möbelbau und die Baubranche überträgt.

So könnten Bürgerinnen und Bürger von Zeitz Materialien und ausgediente Produkte für die Wiederverwendung listen oder alternativ Bestehendes für ihre Inneneinrichtungs- oder Bauprojekte nutzen. Die Kombination aus dezentraler traditioneller Handwerkstechnik und modernen Gestaltungsmethoden wie dem generativen Design wird dazu beitragen, regionale Ressourcen mit Wertschöpfung in der Region weiterzuverarbeiten und gleichzeitig den CO2-Fußabdruck der Möbelproduktion zu minimieren und individuelle, ästhetisch langlebige Lösungen für Bürgerinnen und Bürger anzubieten.

Sollte das Projekt New European Bauhaus in Zeitz wie geplant durch Fördermittel unterstützt werden, stehen wir vor einem spannenden Vorhaben, das nachhaltiges Design als Open-Source-Entwürfe demokratisiert und mit dem in einem Reallabor neue Kreisläufe erprobt werden können.

In meinen eigenen aktuellen Projekten vereine ich Design und Technologie, um nachhaltige Lösungen in der Landwirtschaft mit Partnern voranzutreiben. So entwickeln und gestalten wir gerade einen einfach zu reparierenden Elektrotraktor für nachhaltige Landwirtschaft, begleitet von der Tobi-App zur Biodiversitätsförderung und der AgriPVplus-App, die mithilfe von Augmented Reality (AR) Agri-PV-Anlagenplanung ermöglicht. Diese Initiativen zielen darauf ab, ökologische Praktiken und technologische Innovationen für eine umweltfreundlichere Landbewirtschaftung zu vereinen.

Auf dem Weg in die Praxis: Ideen für nachhaltiges Design, wie sie im Reallabor New European Bauhaus in Zeitz entwickelt werden sollen. Für das Bauteil eines modularen Möbelsystems verwendet Martin Wiesner eine Shaper Origin - eine spezielle, handgeführte Oberfräse, die mit einem digitalen Plan der Fertigung gefüttert wird. Damit können sehr flexibel neue Konzepte getestet und prototypisch gefertigt werden. Anhand dieser „Domimos“ orientiert sich die Fräsmaschine im Raum.

Bei nachhaltigem Design ist Umdenken gefragt, aber auch Verzicht. Wie beeinflusst das die Ästhetik der Produkte?

Nachhaltiges Design fordert nicht nur zum Umdenken auf, sondern verlangt bisweilen auch den Verzicht auf bestimmte Ressourcen, wie zum Beispiel fossile Kunststoffe. Dieser Ansatz beeinflusst die Produktästhetik grundlegend, denn Kunststoffe haben uns über lange Zeit natürlich große Gestaltungsfreiheiten gegeben. Die Nutzung alternativer Materialien, die oft aufgrund ihrer natürlichen Struktur eine heterogene Beschaffenheit aufweisen, verlangt ein subtiles Gleichgewicht in der Produktgestaltung. Designer müssen beispielsweise in ihrer Formgebung zurückhaltender sein, um die einzigartige Textur und Schönheit des Materials zur Geltung zu bringen und eine Art von "Material-ehrlicher" Ästhetik zu fördern.

Verzicht kann aber auch bedeuten, ein Leben mit materiellem Verzicht durch Design dennoch erfüllend zu gestalten. Was das Verhältnis von Ästhetik und materiellem Verzicht betrifft, so ist es entscheidend, die Faktoren zu ermitteln, die tatsächlich zum Wohlbefinden beitragen. Angesichts der Tatsache, dass der durchschnittliche Haushalt etwa 10.000 Gegenstände besitzt, müssen wir erkennen, dass übermäßiger Besitz zunehmend überwältigt statt glücklich zu machen. Wichtige menschliche Grundbedürfnisse wie Kompetenzerleben und Verbundenheit, und die Art, wie wir mit Produkten interagieren, spielen hierbei eine Rolle. Beispielsweise kann ein physisches Produkt sogar einem Kompetenzerleben entgegenstehen, zum Beispiel frustrierende bevormundende Kaffeevollautomaten, und ein gewisser Verzicht, also beispielsweise ein viel einfacheres Produkt, das gleichzeitig Kompetenzerleben fördert , zum Beispiel ein einfacher Kaffeefilter mit dem Können diesen perfekt aufzubrühen, zu einem größeren Wohlbefinden beitragen. Es gibt auch eine sensorische Komponente. Die ästhetische Anziehung beim Kauf ist häufig visuell geprägt, aber für eine langanhaltend zufriedenstellende Nutzung sind auch der Tastsinn und das auditive Erlebnis wesentlich.

Eine nachhaltige Ästhetik ist also multisensorisch, fokussiert eine langfristig positive emotionale Beziehung zum Produkt durch ein tiefes Verständnis, was Menschen benötigen, und setzt Material nur sehr bewusst ein und in einer Form, die nicht modisch, sondern ehrlich ist und eine Verbundenheit ermöglicht. Wenn ein Produkt über Generationen hinweg Menschen erfreut und durch Materialauswahl und nachhaltige Herstellung eine CO2-Senke darstellt, dann haben wir es beispielsweise geschafft.

Mehr zu den Themen...

... Nachhaltiges Design: Geschichte und rechtlicher Rahmen in der Ökodesign-Richtlinie
Mit neuen Ansätzen zur Schonung von Ressourcen und zur Gestaltung umweltfreundlicher Produkte kamen Fragen der Nachhaltigkeit auch in das Design des frühen 20. Jahrhunderts. Mit Umweltbewegungen und dem Bewusstsein für ökologische Nachhaltigkeit erhielt das Thema in den 1960er und 1970er Jahren verstärkt Bedeutung. Designerinnen und Designer begannen, ihre Kreativität bewusster in den Dienst der Umwelt zu stellen und suchten nach Materialien und Herstellungsprozessen, die weniger schädlich für die Natur waren. In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten ist nachhaltiges Design schließlich zu einem integralen Bestandteil des Designs geworden. Dass Produkte nachhaltiger und weniger umweltschädlicher sein sollen, ist seit einigen Jahren auch EU- und bundesrechtlich festgeschrieben. Die Maßgaben stehen in der sogenannten Ökodesign-Richtlinie und werden in Kürze um wichtige Prinzipien erweitert.

… EcodesignKit
Als Portal, Leitfaden und Werkzeugkasten für Designerinnen und Designer sowie Unternehmen dient beispielsweise das Ecodesign Kit. Es bietet Orientierung und unterstützt dabei, die richtigen Fragen im Gestaltungsprozess zu stellen, um die Herausforderungen und Chancen des Ecodesigns voll auszuschöpfen. Das Kit hilft, Produkte und Dienstleistungen von Anfang an nachhaltiger zu konzipieren, und bietet praktische Werkzeuge für die Integration von Nachhaltigkeitsprinzipien in den Designprozess.

… Charta nachhaltiges Design
Darüber hinaus ist die "Charta für nachhaltiges Design" ein wichtiges Dokument, das Designer dazu anregt, nachhaltige Praktiken in ihrer Arbeit zu verankern und sich für die Prinzipien der Nachhaltigkeit stark zu machen. Die Charta bietet einen Rahmen und Leitprinzipien für nachhaltige Designlösungen und bekräftigt das Engagement der Designgemeinschaft für ökologische, ökonomische und soziale Verantwortung.

Martin Wiesner...

  • leitet aktuell die Werkstatt "Interaction Design" am Fachbereich Design der Hochschule Anhalt und ist Lehrkraft für besondere Aufgaben für „Computer Aided Design“ am Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen
  • forscht zu Entscheidungsunterstützungssystemen für Nachhaltiges Design

  • hat in den vergangenen Jahren an der Hochschule u.a. Forschende in Design-Fragen unterstützt, wenn es um einen qualitativeren Wissenstransfer ging (Projekt FORZA)

  • bringt 7 Jahre Erfahrung in der Vermittlung von „Sustainable Design“ an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mit

  • war schon während seines Studiums von nachhaltigem Design begeistert

  • hält auch Vorträge zum Thema, wie auf der TASIMA (Tagung für Siedlungsabwasserwirtschaft).

 

Aktuelle Publikation: REFRAMING HEARING AIDS – EXPLORING THE DESIGN SPACE OF ANALOGUE FASHIONABLE HEARING AIDS FOR USERS WITH MILD HEARING IMPAIRMENTS / Klöckner, Hermann Wolfram. - Enthalten in: Proceedings of the Design Society, Bd. 3 (2023), S.3045-3054.