Projekt

David Rödiger/Marcel Stellwagen Masterarbeit

Digitalisierung des Lettners im Dom St. Marien zu Havelberg und Drucken des dreidimensionalen Modells anhand geodätischer Aufnahme- und Auswertemethoden zur denkmalpflegerischen Bestandsdokumentation

Einreichung der Arbeit: April 2018

Ein Hauptziel der Arbeit bestand darin, im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit die Frage zu untersuchen, inwieweit die Anwendung moderner geodätischer Aufnahme- und Auswertemethoden und weiterer Techniken im Bereich der Denkmalpflege - insbesondere für die Bestandsdokumentation historischer und künstlerisch gestalteter Objekte - sinnvoll sein kann.

Hierfür wurde, in Fortsetzung einer bereits im Verlaufe des vorangegangenen Studiums durchgeführten Projektarbeit, der Lettner im Dom St. Marien zu Havelberg als Beispielobjekt ausgewählt, da er aufgrund seiner Größe und seiner mehr als 600 Jahre alten historischen Substanz mit detailreich verzierten Elementen hohe Qualitäts- und Genauigkeitsansprüche fordert und zudem die Untersuchung der Frage ermöglicht, wie gut moderne Computer die bei so großen Objekten zu erwartenden Datenmengen bewältigen können.

Ziel war es zunächst, mit Hilfe einer geeigneten geodätischen Aufnahmemethode eine hochgenaue dreidimensionale Punktwolke des Objekts zu berechnen. In der schriftlichen Arbeit werden die Gründe dargelegt, die die Autoren bewogen haben, von den verschiedenen theoretisch möglichen Aufnahmeverfahren - zu denen z.B. auch das Terrestrische Lasersannung und die Tachymetermessung gehören - dasjenige der Photogrammetrie auszuwählen. Die Grundlagen und Auswertestrategien der Photogrammetrie werden ausführlich erläutert.

Zur photogrammetrischen Erfassung des Lettners im Dom zu Havelberg wurden zunächst Testaufnahmen mit zwei verschiedenen Kameramodellen durchgeführt, um festzustellen, welche Kamera für die vorliegende Aufnahmekonfiguration am besten geeignet ist.
Aufgrund des hohen Detailgrads des Lettners war es notwendig, die photogrammetrische Erfassung in zwei Teile zu untergliedern. In einem ersten Grobdurchgang wurden insgesamt 419 Aufnahmen im inneren und äußeren Bereich des Lettners auf zwei unterschiedlichen Ebenen erstellt. Im zweiten Teil der Erfassung wurden alle Statuen und Reliefs einzeln aufgenommen, um einen möglichst hohen Detailgrad zu erreichen. Hierbei entstanden weitere 502 Aufnahmen.

Zur Auswertung der aufgenommenen Fotos wurde das Programm PhotoScan der Firma Agisoft LLC (St. Petersburg, Russland) benutzt. Diese low-cost Software ermöglicht die weitgehend automatische Durchführung verschiedener Verarbeitungsschritte wie Bildorientierung und Kamerakalibrierung, Berechnung dichter Punktwolken, Berechnung und Texturierung vermaschter Modelle sowie Berechnung von gekachelten Modellen, digitalen Höhenmodellen und Orthomosaiks.
Viele dieser Möglichkeiten wurden auch angewendet, wobei die Detailaufnahmen getrennt von der Grobaufnahme ausgewertet wurden, um die großen Rechenzeiten nicht zusätzlich zu verlängern.

Im Ergebnis lagen Punktwolken für die einzelnen Detailaufnahmen und für die Grobaufnahme vor, die dann mit Hilfe des Open-Source-Programms CloudCompare zu einer einzigen Punktwolke vereinigt wurden, wobei außerdem eine Bereinigung durch Entfernung nicht zum Lettner gehöriger Bereiche erfolgte.

Zuvor waren zur Herstellung eines einheitlichen Maßstabes und zur einheitlichen Ausrichtung der Punktwolken bezüglich eines übergeordneten Koordinatensystems noch Tachymetermessungen zwischen den Punkten eines Ringpolygons und von ausgewählten Standpunkten zu insgesamt 196 Punkten des Lettners durchgeführt worden, die dann mit Hilfe der Ausgleichungssoftware CAPLAN der Firma Cremer Programmentwicklung GmbH ausgewertet wurden.
Anschließend erfolgte eine Transformation des benutzten Koordinatensystems in der Weise, dass seine Achsen entlang des Lettners verliefen.

Als nächster Verarbeitungsschritt wurde die erzeugte dichte Punktwolke vermascht, das heißt, die Punkte wurden mit einem Dreiecksnetz miteinander verbunden. Dafür wurde das Programm Geomagic Design X genutzt.
Aufgrund der Größe der Punktwolke wurde entschieden, jede Nische des Lettners einzeln zu vermaschen, so dass 13 vermaschte 3D-Modelle für die einzelnen Nischen sowie ein vermaschtes 3D-Modell für den gesamten Lettner entstanden. Um diese Modelle für den später vorgesehenen 3D-Druck vorzubereiten, mussten sie in sogenannte wasserdichte Volumenmodelle überführt werden, wofür zusätzlich das CAD-Programm Autodesk Civil 3D 2018 benutzt wurde.

Es wurden verschiedene Möglichkeiten realisiert und in der schriftlichen Arbeit ausführlich erläutert, um die vorliegenden 3D-Modelle weiter auszuwerten und zu präsentieren.  Hierbei handelt es sich beispielsweise um die Erstellung von Längs- und Querschnitten (unter Nutzung der Software PointCab), die Berechnung von Konturlinien (mit Hilfe der Open-Source-Software QuantumQIS unter Nutzung eines mit Hilfe von Agisoft Photoscan erstellten digitalen Höhenmodells), die Berechnung und Ausgabe von Orthomosaiken (mit Hilfe von Agisoft Photoscan), die Darstellung des Modells mit Mitteln der sogenannten Virtuellen Realität (z.B. unter Nutzung einer VR-Brille, eines Joysticks und einer geeigneten Smartphone-App) und die Visualisierung des Modells durch Erstellung von Animationen in Form kurzer Videos (mit Hilfe des Programms „3ds Max 2017“ der Firma Autodesk Inc.).

Beträchtliche Bedeutung speziell im Bereich der Denkmalpflege könnte die in der Arbeit erstmals aufgezeigte Möglichkeit erlangen, neben dem (ebenfalls ausführlich erläuterten) "normalen" 3D-Druck auch sogenannte Negativmodelle geeigneter Objekte am Rechner (genutzt wurde das Programm Geomagic Design X) zu erstellen und auszudrucken, die dann als Gussformen benutzt werden können, um durch Ausgießen mit geeigneten Materialien originalgetreue Kopien herzustellen.

Ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit ist der dreidimensionale Druck der erzeugten 3D-Modelle.

Der Umgang mit zwei an der Hochschule Anhalt vorhandenen Typen von 3D-Druckern (Prusa i3 MK2S Multi Material und Ultimaker2) wird von der Montage bis zum Druckvorgang ausführlich erläutert.

Zur Beurteilung der Genauigkeit des Druckergebnisses wurden eigens konstruierte Versuchswürfel genutzt, die ausgedruckt und deren Maße anschließend unter Nutzung hochgenauer Mittel der Industrievermessung (Lasertracker und Leica T-Probe) mit den Sollmaßen verglichen wurden.
Dabei konnte festgestellt werden, dass die untersuchten Drucker Abweichungen von höchstens einem Millimeter auf dem verfügbaren Druckvolumen aufweisen und somit die gedruckten Modelle des Lettners ausreichend genau sind, um sie im Rahmen der Denkmalpflege einsetzen zu können

Weiterhin wird die Effizienz der beiden erwähnten Druckertypen nach Kriterien wie Druckqualität, Druckzeit und Materialverbrauch vergleichend bewertet.

Für alle vorhandenen 3D-Modelle des Lettners wurde jeweils mindestens ein 3D-Druck durchgeführt.
Es wurden hierbei zum Teil unterschiedliche Einstellungen für den Maßstab vorgenommen und es erfolgt in der schriftlichen Arbeit eine vergleichende Beurteilung beispielsweise hinsichtlich Druckzeit, Druckqualität und Detailtreue.
Grundsätzlich kommen die Autoren hierbei zu dem Schluss, dass die Druckergebnisse als sehr gut bewertet werden können.

Abschließend werden noch einmal die Möglichkeiten und Grenzen gegenwärtiger 3D-Drucker ausführlich diskutiert und es erfolgt eine zusammenfassende Auflistung des Zeit- und Materialaufwandes für alle Teilschritte des Prozesses von der geodätischen Aufnahme des Lettners bis zum 3D-Druck.

Als Resümee wird festgehalten, dass der dargestellte Arbeitsablauf wegen seiner Komplexität zwar bei herkömmlichen denkmalpflegerischen Bestandsaufnahmen sowohl den Zeit- als auch den Kostenrahmen der meisten Objekte sprengen würde, jedoch bei sehr großen und detailreichen Objekten seine Vorteile deutlich zum Tragen kommen.