Projekt

Maxi Reinke - Vermessung und Geoinformatik - dual Bachelorarbeit

Grenzvermessungen an der Landesgrenze Berlin-Brandenburg und die Problematik in der Praxis

Einreichung der Arbeit: März 2021

Das heutige Liegenschaftskataster in Deutschland dient zusammen mit dem Grundbuch der Eigentumssicherung. Die Grenzvermessung ermöglicht hierbei die Dokumentation der Veränderungen an einem Flurstück und ist deshalb ein wichtiges Mittel zur Gewährleistung der Zuverlässigkeit des Liegenschaftskatasters.

Die föderalen Strukturen in Deutschland haben dazu geführt, dass die Gesetzgebung im amtlichen Vermessungswesen den Bundesländern obliegt. Dies kann zu unterschiedlichen Gesetzen und Vorschriften in unterschiedlichen Bundesländern führen und damit beispielsweise auch Auswirkungen auf Grenzvermessungen an der gemeinsamen Landesgrenze zweier benachbarter Bundesländer haben.
So wirkt es sicherlich im ersten Moment recht verblüffend, wenn man erfährt, dass noch Anfang 2021 im Rahmen eines Datenabgleichs bei etwa 14 % der Grenzpunkte auf der Landesgrenze zwischen Berlin und Brandenburg Abweichungen hinsichtlich Koordinatenwerten oder Attributen zwischen den amtlichen Daten beider Bundesländer festgestellt wurden, obwohl eigentlich eine vollständige Übereinstimmung angestrebt wird und zu diesem Zweck auch regelmäßige Abstimmungen zwischen den Behörden beider Länder vorgesehen sind.

Da widersprüchliche Angaben zu Grenzpunkten an einer Landesgrenze zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Arbeit der zuständigen Behörden und Vermessungsstellen und im Extremfall zu eigentumsrechtlichen oder vielleicht sogar politischen Komplikationen führen könnten, besteht selbstverständlich ein Interesse daran, solche Diskrepanzen nach Möglichkeit zu vermeiden oder, wenn vorhanden, zu beseitigen.
Ein wichtiges Anliegen der Arbeit bestand deshalb darin, Ursachen für die bestehenden Abweichungen zusammenzustellen und Vorschläge zu unterbreiten, inwiefern mit zusätzlichen Regelungen oder anderen Maßnahmen eine Verbesserung erreicht werden könnte.

Um eine fundierte Einordnung der gegenwärtigen Problematik zu ermöglichen, wird darüber hinaus am Beispiel des Stadtstaates Berlin die über 150-jährige Entwicklung des Katasters und der öffentlichen Vermessungsverwaltung ausführlich dargestellt und erläutert.

Ausgehend von der ab 1861 im Zusammenhang mit der Eingemeindung umliegender Ortschaften durchgeführten Neuvermessung des Stadtgebietes von Berlin und der gleichfalls ab 1861 vollzogenen Einführung des Grundsteuerkatasters in den östlichen preußischen Provinzen wird zunächst die Entwicklung der Berliner Vermessungsverwaltung und parallel des deutschen Vermessungswesens in der zweiten Hälfte des 19. und im beginnenden 20. Jahrhundert beschrieben, wobei auf wichtige Gesetze und Vorschriften eingegangen wird.
Erwähnt werden können hier
- die Grundbuchordnung von 1872,
- das 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch hinsichtlich seiner Aussagen zum Öffentlichen Glauben des Grundbuchs,
- die Katasteranweisungen I-IX von 1877 bzw. 1881, die aufgearbeitete II. Katasteranweisung von 1896 sowie deren 1912 veröffentlichten und 1920 in einer Neuauflage zusammengefassten Ergänzungsvorschriften.

Anschließend wird die geschichtliche Entwicklung des deutschen und speziell des Berliner Vermessungswesen in der Weimarer Republik, der NS-Zeit, der Zeit der deutschen Teilung und nach der Wiedervereinigung ausführlich dargelegt.
Themen sind unter anderem
- die besonderen Herausforderungen an die Berliner Vermessungsämter im Zusammenhang mit der Gründung Groß-Berlins 1920,
- die auf den Widerstand verschiedener deutscher Länder stoßenden Bestrebungen zur Vereinheitlichung des zivilen Vermessungswesens in der Weimarer Republik,
- die auch das Vermessungswesen einbeziehende zunehmende Zentralisierung und Gleichschaltung in der NS-Zeit,
- die unterschiedliche nachkriegsgeschichtliche Entwicklung 1945-1990 in der DDR und Berlin (Ost) einerseits und der BRD und Berlin (West) andererseits sowie
- die Entwicklung seit der Wiedervereinigung 1990, die zunächst die Bildung von fünf neuen Bundesländern aus den außerhalb von Berlin (Ost) liegenden Verwaltungsbezirken der ehemaligen DDR und die Bildung des Landes Berlin aus den ehemaligen Territorien von Berlin (Ost) und Berlin (West) beinhaltete.

Speziell erwähnt werden beispielsweise
- die 1923 gefassten Beschlüsse des Beirats für Vermessungswesen,
- die Einführung des Reichskatasters 1935,
- die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone kurz nach Kriegsende,
- die 1952 in der DDR vollzogene Ersetzung der Bundesländer durch 14 Verwaltungsbezirke ohne Gesetzgebungskompetenz,
- die in der DDR erlassenen Regelungen für Fortführungs- und Neuvermessungen, bei denen die Wirtschaftlichkeit der Durchführung im Vordergrund stand,
- die Festlegungen des 1976 in der DDR in Kraft getretenen Zivilgesetzbuchs zur Separierung des Eigentums an Grund und Boden vom Eigentum an Gebäuden und Anlagen und zu Nutzungsrechten von Bürgern an Grundstücken,
- das Vermessungsgesetz für Berlin (West) von 1974 und die Ausführungsvorschriften über die Grenzvermessung für Berlin (West) von 1980,
- die für das Vermessungs- und Katasterwesen relevanten Festlegungen des Einigungsvertrages von 1990 und
- wichtige Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte im amtlichen Vermessungswesen in Deutschland, wofür unter anderem Stichwörter wie SAPOS, ALKIS, AFIS, ATKIS und INSPIRE stehen.

Die weiteren Kapitel der Arbeit beschäftigen sich dann in erster Linie mit der Problematik der Feststellung und Abstimmung der Landesgrenze zwischen den heutigen Bundesländern Berlin und Brandenburg.
Nach einem Überblick über
- die Veränderungen der Landesgrenze von Berlin 1861-1945, über
- Gebietsaustausche zwischen den Besatzungsmächten 1945-1949 sowie zwischen der DDR und Berlin (West) 1949-1990 und
- über weitere Veränderungen der Landesgrenze mit Wirkung des Einigungsvertrages von 1990
werden die aktuellen Rechtsgrundlagen in Berlin und Brandenburg im Hinblick auf die Durchführung und Übernahme von Grenzvermessungen analysiert und gegenübergestellt.

Hierbei wird grundsätzlich festgestellt, dass es trotz vieler Übereinstimmungen zwischen den einzelnen Bundesländern bei wichtigen Rechtsgrundlagen des amtlichen Vermessungswesens bezüglich bestimmter Details auch eine Reihe von Unterschieden gibt.
Speziell zwischen Berlin und Brandenburg bestehen beispielsweise
- Unterschiede hinsichtlich der zulässigen Abweichungen zwischen den im Liegenschaftskataster nachgewiesenen und den bei einer Grenzuntersuchung in der Örtlichkeit bestimmten Koordinaten,
- hinsichtlich weiterer eingeführter Kriterien zur Bewertung der Qualität eines Grenzpunktes und
- hinsichtlich des vorgeschriebenen Umfangs der einzureichenden Vermessungsschriften bei örtlichen Grenzvermessungen.

Außerdem ist zu erwähnen, dass in Berlin und Brandenburg zwei unterschiedliche ALKIS-Software-Produkte eingesetzt werden, was einer Vereinheitlichung in der Führung des Liegenschaftskatasters entgegensteht.

In der Vergangenheit wirkte es sich bei der Abstimmung der Landesgrenze auch erschwerend aus, dass in Berlin (als eine etwas längerfristige Folge der deutschen Teilung) noch bis 2015 das frühere Landeskoordinatensystem Soldner Berlin den Grenzpunktkoordinaten zugrunde lag, bevor der endgültige Übergang zum bundeseinheitlichen und in Brandenburg schon wesentlich länger verwendeten Raumbezug ETRS89/UTM erfolgte.

Da bereits bei einer Überprüfung im Jahre 2006 festgestellt werden musste, dass die Vorgaben zum identischen Nachweis der Grenzpunkte in den Datenbeständen beider Bundesländer noch nicht zielführend umgesetzt werden konnten, wurde im Zeitraum von 2007 bis 2013 ein Projekt zur gegenseitigen Abstimmung durchgeführt.
Hierbei wurden mit Hilfe einer gemeinsam geführten Excel-Datei mit beträchtlichem Aufwand über Jahre hinweg alle festgestellten Abweichungen in den Nachweisen der vorhandenen Grenzpunkte bereinigt.
Nach Beendigung des Projekts im Jahre 2013 galt die Landesgrenze als abgestimmt, obwohl noch Restfehler aus dieser Abstimmung vorhanden waren und bei künftigen Grenzvermessungen in Anbetracht der nach wie vor teilweise unterschiedlichen Rechtsgrundlagen auch erneut Abweichungen entstehen konnten.

Seit 2018 wird die weitere Abstimmung durch einen den Vermessungsstellen der Berliner Stadtbezirke von der zuständigen Senatsverwaltung zur Verfügung gestellten NAS-Viewer erleichtert (NAS: englisch für netzgebundener Speicher), der auf der Grundlage eines zweimal jährlich von der Senatsverwaltung durchgeführten Datenabgleichs für jeden Grenzpunkt der Landesgrenze die Attribute beider Bundesländer anzeigt und Abweichungen rot darstellt.
Unter Nutzung dieses Hilfsmittels erscheint die Zielstellung realistisch, jährlich mindestens 70 nicht identisch nachgewiesene Grenzpunkte abzustimmen. Allerdings steht das Hilfsmittel bisher (Stand: März 2021) den Landkreisen in Brandenburg nicht zur Verfügung, so dass die Abstimmung abweichender Grenzpunkte nur von Berliner Seite aus angestoßen werden kann.

Im abschließenden Teil der Arbeit werden die möglichen Ursachen für die auftretenden Abweichungen zunächst noch einmal ausführlich dargelegt.

So wird unter anderem erläutert, dass die Unterschiede in den zulässigen Toleranzen und den weiteren Qualitätskriterien dazu führen könnten, dass die durch eine Brandenburger Vermessungsstelle im Zuge einer Grenzvermessung veränderten Grenzpunktkoordinaten nicht mehr die in Berlin vorgeschriebenen Toleranzen zwischen Abmarkung und nachgewiesenen Koordinaten einhalten, so dass die entsprechende Abmarkung nach den in Berlin geltenden Vorschriften entfernt werden müsste.
Eine andere Möglichkeit für das Entstehen einer Abweichung wäre zum Beispiel das Einschalten eines Grenzpunktes im Zuge einer Flurstückszerlegung in Brandenburg, sofern dieser Punkt in Berlin mit grafischen Koordinaten ohne Punktkennung übernommen wird, weil dann in Berlin die Möglichkeit der Änderung der Koordinaten im Zuge einer späteren Messung besteht.

Es wird verdeutlicht, dass das Auftreten von Abweichungen solcher und ähnlicher Art insbesondere durch mangelnde Kenntnis der Vorschriften des jeweils anderen Bundeslandes und ungenügende Kommunikation zwischen den Katasterbehörden begünstigt wird.
Auch können die eigenen Vorschriften eine Abstimmung erschweren, da die zu übernehmenden Koordinaten diesen möglicherweise nicht entsprechen.

Da die Autorin die zu untersuchende Problematik vorwiegend im Bezirksamt Treptow-Köpenick kennengelernt hatte, wurde auch eine Umfrage bei den Vermessungsstellen anderer Berliner Bezirke durchgeführt, um Aussagen darüber zu gewinnen, wie diese damit umgehen.
Es konnte festgestellt werden, dass man sich im Allgemeinen der Wichtigkeit der Abstimmung der Landesgrenze mit Brandenburg bewusst ist und im Zuge dessen auch Koordinaten regelmäßig angepasst werden. Hinsichtlich der Frage, ob in Anbetracht der unterschiedlichen Vorschriften konkrete Regelungen zu Messungen an der Landesgrenze wünschenswert wären, blieben die von den verschiedenen bezirklichen Vermessungsstellen geäußerten Meinungen geteilt.

Als Fazit der Arbeit konnten verschiedene Empfehlungen  zur künftigen Verbesserung der Abstimmung der Landesgrenze zusammengestellt werden.
Neben dem Vorhandensein von Grundkenntnissen der Vorschriften des Nachbarlandes und der Kommunikation der Katasterbehörden beinhalten diese auch die Einführung zusätzlicher Auswertekriterien für Grenzpunkte der Landesgrenze und ein verpflichtendes Vorschreiben bestimmter, bereits jetzt in der Regel angewandter Vorgehensweisen.

Darüber hinaus wird ein Leitfaden für empfehlenswert erachtet, der für die Flurstücke an der Landesgrenze gilt und Festlegungen trifft, die von den sonst geltenden Vorschriften beider Bundesländer abweichen können.
Begründet wird dies damit, dass die Erstellung eines solchen Leitfadens in Zusammenarbeit der verantwortlichen Institutionen beider Bundesländer zwar mit einem erheblichen Aufwand verbunden wäre, aber damit andererseits der Arbeitsaufwand erheblich verringert werden könnte, der heute für die Recherche und Auswertung nicht übereinstimmend geführter Grenzpunkte erforderlich ist.