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Prof. Dr. Christoph Wiedmer

Mit gerade mal 31 Jahren übernimmt Dr. Christoph Wiedmer die Professur für Lebensmittellehre an der Hochschule Anhalt. In diesem Interview erzählt der gebürtige Nürnberger, was die Studierenden von kuriosen Fällen wie der Umwidmung von Nahrungsergänzungsmitteln zu "Gartenzwerg-Futter" lernen können und warum ein interdisziplinärer Blickwinkel elementar für angehende Ökotrophologen ist. 

 

Professor Wiedmer, herzlich willkommen an der Hochschule Anhalt. Die jüngste Professorin in Deutschland ist nach meiner Recherche 26 Jahre alt. Sie sind mit Ihren 31 Jahren auch ein sehr junger Professor. Das ist eine beachtliche Leistung. Können Sie uns etwas über Ihre Motivation erzählen, eine akademische Laufbahn einzuschlagen?

Das hat sich tatsächlich einfach so entwickelt. Schon während meiner früheren Tätigkeit am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit war ich in die Ausbildung von Lebensmittelchemikern für das zweite Staatsexamen involviert. Dort habe ich Vorträge gehalten und so Einblicke in die Lehre gewonnen. Außerdem habe ich einen Lehrauftrag für Lebensmittelrecht an der TU München im Bereich Ernährungswissenschaften übernommen. Dabei habe ich gemerkt, Lehre ist etwas, was mir sehr viel Spaß macht. So war es für mich ein logischer Schritt, meine akademische Motivation dann im Rahmen einer Hochschulprofessur umzusetzen. Als die Professur für Lebensmittellehre an der Hochschule Anhalt ausgeschrieben wurde, sah ich eine große Übereinstimmung zwischen meinen Fähigkeiten und den Anforderungen der Stelle. Ich musste mich einfach bewerben und freue mich sehr, dass es geklappt hat.

 

Welche Fächer werden Sie künftig unterrichten?
Mein Lehrschwerpunkt liegt hauptsächlich auf den Bereichen Sensorik, Lebensmittelrecht, sowie Warenkunde und Lebensmitteltoxikologie.

 

Wie planen Sie, Ihre Fachkenntnisse und Ihre Begeisterung für die Lehre von Lebensmitteln an die Studierenden weiterzugeben?
Das Besondere an der Lebensmittellehre ist, dass sie eine unglaubliche Alltagsrelevanz hat. Jeder von uns muss täglich essen, und diese Tatsache bietet eine hervorragende Möglichkeit, theoretische Konzepte direkt mit praktischen Beispielen zu verknüpfen. Ich könnte zum Beispiel Stunden damit verbringen, die rechtliche Definition von Lebensmitteln theoretisch zu erläutern, was zweifellos wichtig ist. Aber ich kann mir auch anschauen, warum das in der Praxis relevant ist, etwa wenn ein Hersteller ein Nahrungsergänzungsmittel plötzlich als "Gartenzwerg-Futter" umwidmet. Einen solchen Fall gab es tatsächlich vor einigen Jahren. Ist es dann immer noch ein Lebensmittel oder nicht?

 

Moment - ein Nahrungsergänzungsmittel als Gartenzwerg-Futter?
Genau! Allerdings ist der Unternehmer damit nicht weit gekommen – das zuständige Verwaltungsgericht hat dem Ganzen einen Riegel vorgeschoben. Aber es sind eben Fälle aus dem Leben, die deutlich machen, warum ein fundiertes Verständnis des Lebensmittelrechts so wichtig ist. Es verdeutlicht, dass Lebensmittel nicht zwangsläufig für den menschlichen Verzehr bestimmt sein müssen, sondern dass es ausreicht, wenn vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie von Menschen verzehrt werden. Nahrungsergänzungsmittel, bleiben Lebensmittel für den Menschen, nicht für den Gartenzwerg.

 

Was ist Ihr Forschungsgebiet?
Mein Forschungsgebiet umfasst zwei Hauptbereiche. Zum einen beschäftige ich mich mit der Humansensorik, also der Bewertung der Eigenschaften von Lebensmitteln durch die menschlichen Sinne wie Geschmack, Optik und Geruch. Damit hier keine subjektiven Einzelmeinungen erfasst werden, arbeite ich mit Sensorik-Panels, also Gruppen von Personen, die die Produkte bewerten. Aus diesen Bewertungen errechnen wir dann objektive Mittelwerte. Zum anderen kombiniere ich diese Ergebnisse der sensorischen Analysen mit chemischer Analytik: Wenn beispielsweise ein Lebensmittel ein Fehlaroma aufweist, kann ich mit der Sensorik zwar den Fehler feststellen, aber nicht unbedingt die Ursache. Wenn ich aber zusätzlich die enthaltenen Geruchsstoffe analytisch nachweise und identifiziere, verstehe ich die Ursache des Fehlaromas und kann mit diesem Wissen Strategien entwickeln, die das Entstehen verhindern.

 

Und mit den Ergebnissen können Sie Produkte entwickeln, die im Durchschnitt von allen Menschen gemocht werden, oder gibt es ein anderes Ziel?
Das kommt immer auf die konkrete Fragestellung an. Mein Hauptziel ist es, nicht nur zu beurteilen, wie die Produkte schmecken, sondern auch zu verstehen, welche spezifischen Stoffe jeweils für den Geschmack verantwortlich sind. Mit diesem Wissen kann man dann verschiedene Richtungen einschlagen.

Man kann zum Beispiel Herstellungsprozesse so optimieren, dass erwünschte Aromastoffe verstärkt gebildet werden, man kann aber auch bei Produkten mit Fehlaromen nach Strategien suchen, um die Entstehung des Fehlaromas zu vermeiden. Letzteres ist beispielsweise auch bei der Entwicklung von Fleischersatzprodukten relevant, die nicht wie ihre pflanzlichen Ausgangsstoffe schmecken sollen, sondern wie die traditionellen Fleischgerichte, die sie imitieren. Auch wenn man in einem bestehenden Produkt gewisse Zutaten durch andere, gesündere ersetzen möchte, also zum Beispiel den Zuckergehalt reduzieren will, kann ich untersuchen, wie sich Veränderungen in den Zutaten eines Produktes auf dessen sensorische Eigenschaften auswirken.

 

Wie können Studierende in Ihrem Forschungsbereich mitwirken? Gibt es Möglichkeiten, sie einzubinden?
Sowohl im Bachelor als auch im Master Ökotrophologie bieten wir Praktika im Bereich Sensorik an. Dabei wird man übungsweise Teil eines Sensorikpanels und lernt so die Welt der sensorischen Analyse kennen. Das Schöne an der Sensorik ist, dass sie unmittelbar erfahrbar ist – fast jeder kann riechen und schmecken. Durch die praktische Erfahrung lernt man nicht nur seine eigenen Sinne besser kennen, sondern entwickelt auch ein besseres Verständnis für sensorische Analysen.

 

Was ist Ihrer Meinung nach, eine besonders wichtige Fähigkeit, die die Studierenden für ihre berufliche Zukunft aus dem Studium mitnehmen sollten?
Wenn wir über den Bereich Ökotrophologie oder Lebensmittel im Allgemeinen sprechen, ist es besonders wichtig, stets über den Tellerrand hinauszuschauen und nie den Blick nach links und rechts zu vergessen. Schließlich gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die die Sicherheit und Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln beeinflussen. So ist es beispielsweise wichtig, dass ein Lebensmittel mikrobiologisch sicher ist. Es darf aber gleichzeitig auch keine gesundheitsschädlichen chemischen Stoffe enthalten und muss ordnungsgemäß gekennzeichnet sein. Auch die Werbung muss rechtskonform sein. Es darf also in der Werbung nicht fälschlicherweise behauptet werden, dass das Lebensmittel beispielsweise Krebs heilen kann, denn das ist rechtlich verboten. Das heißt, ich muss sehr, sehr viele Dinge berücksichtigen. Mit einem interdisziplinären Studium, wie es hier an der Hochschule Anhalt angeboten wird, hat man sehr gute Voraussetzungen.

 

Professor Wiedmer, herzlichen Dank für das Gespräch.