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Prof. Dr. Thomas Tanneberger

Der neue Professor für Agrarmanagement an der Hochschule Anhalt, Professor Dr. Thomas Tanneberger, ist gelernter Landwirt und bringt mit seiner langjährigen Erfahrung als Redakteur, Berater und Betriebsleiter ein breites Spektrum an Kompetenzen mit in den Hörsaal. Neben der Vermittlung von theoretischem Wissen legt er großen Wert darauf, dass seine Studierenden auch praktische Erfahrungen sammeln und selbst Hand anlegen. Als Nebenerwerbslandwirt weiß er, wie wichtig es ist, den Boden unter den Füßen zu spüren und die Natur hautnah zu erleben. Im Interview erfahren wir mehr über seine Vision für die Agrarbranche und seine pädagogischen Ansätze.

Professor Tanneberger, herzlich willkommen an der Hochschule Anhalt. Bevor wir über Ihre neue Aufgabe sprechen, lassen Sie uns kurz zurückblicken. Was hat Sie in Ihrer eigenen Studienzeit am meisten geprägt?
Prof. Tanneberger: Die Wendezeit in Ostdeutschland. Ich habe mein Studium 1990 begonnen. Mauerfall, erste freie Wahlen, Einigungsvertrag - das war eine Zeit großer Hoffnungen, großer Aufbruchstimmung. Freiheit, Chancen, neue Welten!  Doch dann folgte sehr schnell die Ernüchterung. Sozial und auch finanziell war es keine leichte Zeit. Viele Strukturen brachen weg, auch meine Studienrichtung in Rostock wurde gestrichen. Ich ging nach Berlin an die TU: Wir warfen fünf Neue aus dem Osten unter westdeutschen Kommilitonen – das war schon spannend. Dann kam ab 1992 die Fusion des Fachbereichs mit der Agrarfakultät der Humboldt-Universität. Immer wieder Aufbruch, Umbruch, Neues. Ich hatte neben dem Studium noch eine Tutorenstelle, jeder Ferienzeit Praktika und war trotzdem vor der Regelstudienzeit fertig. Schön, dass viele Studierende heute mehr Ruhe zum Lernen haben.


Ihr beruflicher Werdegang begann Mitte der 90er Jahre beim Deutschen Landwirtschaftsverlag mit einem Volontariat bei der Fachzeitschrift für Agrarmanagement „Neue Landwirtschaft". Wie kam es dazu?
Ich wollte schon immer an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis arbeiten. Mein Berufsziel war eigentlich der Versuchsstellenleiter an einer Akademie oder Universität. Das Volontariat war eher Zufall - ich wollte promovieren, und an meiner Uni gab es keine Stelle. Also habe ich eine journalistische Zweitausbildung gemacht. Das passte gut, wie ich bald merkte: Fachlich war man durch die redaktionelle Arbeit mit den Autoren und eigene Recherchen immer an vorderster Front, und bald hatte ich auch meine Freude an Wort und Satz entdeckt.


Was waren danach Ihre wichtigsten beruflichen Stationen?
Direkt nach dem Volontariat wurde ich 1998 Redakteur für Agrarmanagement bei der „Neuen Landwirtschaft“. Kaum ein anderes Medium hat die marktwirtschaftliche Transformation des ostdeutschen Agrarsektors so intensiv, fair und handlungsorientiert begleitet. In all den folgenden Projektjahren war die „Neue Landwirtschaft“ meine berufliche Heimat, meine Basis. Parallel bauten wir eine osteuropäische Schwesterzeitschrift auf, die in russischer Sprache erschien. Ich war dort Redakteur und ab 2003 Chefredakteur. Als Projektleiter und später als Geschäftsführer trug ich auch wirtschaftliche Verantwortung. Wir waren ein tolles internationales Team zwischen Moskau und München, Kiew und Berlin, Minsk und Hannover. Heute leider kaum noch vorstellbar.


Sie wollten gerne promovieren, aber es gab keine Stellen, sagten Sie vorhin. Wie kam es letztlich zur Promotion?
Das war 2005, als ich meine Dissertation über Managementökonomie in ostdeutschen Großbetrieben verteidigen konnte. Das Thema war bewusst gewählt – ich wollte bei all der Auslandsarbeit den Kontakt zur heimischen Landwirtschaft nicht abreißen lassen. Das ist gelungen – was für ein Erfolg nach acht Jahren nebenberuflicher Arbeit! Überhaupt waren die 2000er Jahre eine sehr frohe Zeit. Unser Osteuropa-Projekt boomte, der Umsatz stieg jährlich um sechsstelligen Bereich. Dann kam 2008 die Rubelkrise, es wurde wirtschaftlich wieder enger. Wir senkten die Kosten, übergaben das Projekt an unsere osteuropäischen Kolleginnen und Kollegen, und die hatten ihren Job inzwischen gut gelernt. Sie haben die Zeitschrift bis zum Kriegsausbruch 2022 erfolgreich weitergeführt – eines der nachhaltigsten deutschen Agrarprojekte, wie ich meine.

Für mich ergab sich 2010 ein Ruf in die Chefredaktion der „Bauernzeitung“, der Wochenzeitung für ostdeutsche Landwirtschaftsbetriebe. Auch hier standen Agrarmanagement und Agrarpolitik im Mittelpunkt. Eine hochinteressante Zeit, und wieder mit einem super Team. Ich bin heute noch dankbar, dass ich mit diesen Menschen zehn schaffensreiche Jahre zusammenarbeiten durfte.


Dennoch wollten Sie noch einmal etwas anderes als die „Presseblase“ kennenlernen…?
Genau, mich hat irgendwann die Neugier gepackt – ich spürte, dass es noch eine andere Welt gibt. So ging ich 2020 auf eigenen Wunsch in die Agrarberatung: Investitionskonzepte entwickeln, Kommunikationsstrategien aufbauen, Betriebe sanieren, Menschen moralisch wieder aufbauen, Bildungsarbeit leisten. Über ein Beratungsmandat kam ich dann kurzzeitig noch als Agrarökonom zum Deutschen Bauernverband, ehe mich Ende letzten Jahres der Ruf der Hochschule Anhalt erreichte. Ich habe ihn gerne angenommen und freue mich wirklich sehr auf die neue Aufgabe.


Können Sie uns einen Einblick in Ihr Forschungsgebiet geben? Was fasziniert Sie besonders an Ihrem wissenschaftlichen Spezialgebiet? 
Die Landwirtschaft im Allgemeinen und die Agrarökonomie im Besonderen leben von der Interdisziplinarität. Deshalb bin ich bei aller ökonomischer Orientierung immer ein bisschen Generalist geblieben. Themen, die mich besonders interessieren, sind:

  • Struktur, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der ostdeutschen Landwirtschaft im Vergleich zu anderen europäischen Regionen,
  • Managementmethoden in landwirtschaftlichen Großbetrieben,
  • Ökonomie aktueller Entwicklungstrends in der Landwirtschaft, wie Digitalisierung, Klima- und Biodiversitätsschutz.

 

Welche Schwerpunkte Ihrer bisherigen Arbeit nehmen Sie mit in den Hörsaal?
Aus der Pressezeit nehme ich wohl vor allem die Gewohnheit mit, Nachrichten nüchtern zu analysieren und sie faktenbasiert, politisch neutral und frei von wirtschaftlichen Interessen in objektive Entwicklungen einzuordnen. Aus der Beratungsarbeit nehme ich die Nutzwertorientierung mit: Ich will mich auf Inhalte konzentrieren, die den Studierenden nachvollziehbar helfen können. Und aus meiner Verbandsarbeit bringe ich die Solidarität mit: Für unsere erfolgreiche Entwicklung in der Landwirtschaft braucht es neben Fachwissen eben auch das Engagement füreinander.


Es ist Ihnen ein wichtiges Anliegen, den Studierenden eine ganzheitliche Sicht auf ihre spätere Tätigkeit zu vermitteln. Können Sie kurz drei Herausforderungen benennen, die Sie konkret für die Studierenden sehen?
Produktion, Umwelt, Wissenschaft, Politik - unsere Agrarwelt ist heute komplexer denn je. Für den Nachwuchs ist es daher eine große Herausforderung, vor dieser Vielfalt an Informationen, Möglichkeiten, Vorschriften und Methoden nicht einzuknicken, sondern die Dinge systematisch zu recherchieren und die Ergebnisse in Zusammenhänge einzuordnen. Zweitens sollten sich die Studierenden nicht in allzu detailreicher Faktenrecherche verlieren, so verlockend es sein mag. Wichtig sind Methoden- und Systemwissen. Ja, und drittens ist der Kontakt zur Gesellschaft ganz wichtig. Tut etwas, aber überlegt vorher, wie das, war ihr tut, wirkt!


Wie möchten Sie sie darauf vorbereiten?
Wir werden um etwas Theorie nicht herumkommen. Ich werde allerdings versuchen, diese möglichst oft am praktischen Beispiel zu erläutern. Ansonsten gilt das, was auch in meinen früheren Lebensphasen angesagt war: Rein in die Gummistiefel und raus an die frische Luft! Ich bin Nebenerwerbslandwirt, habe viele Kontakte zu Betrieben und finde die neue alte Idee der Living Labs hoch interessant.


Worauf freuen Sie sich in der Zusammenarbeit mit den Studierenden am meisten?
Darauf, dass ich etwas von dem weitergeben kann, was ich in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten gelernt und erlebt habe. Und auf das, was mir auch bei meinen eigenen (vier) Kinder Freude bereitet: die freudigen Blicke, wenn jemand was verstanden hat, und die sinnvollen Initiativen, die das Gelernte umsetzen. Ja, und perspektivisch wäre es natürlich der schönste Arbeitslohn, Absolventinnen und Absolventen später als erfolgreiche Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter wiederzutreffen.


Haben Sie ein Motto, das Sie den Studierenden mit auf Ihren Lebensweg geben möchten?
Ich halte es ganz mit dem britischen Mathematiker, Physiker und Strukturanalytiker John Desmond Bernal (1901 – 1971), übrigens ein Bauernsohn: „Praxis ohne Theorie ist blind, Theorie ohne Praxis ist unfruchtbar“. Ich würde es nur positiv formulieren: „Praxis wird mit Theorie weitsichtig, und Theorie bringt erst mit Praxis richtig Licht ins Dunkel.“
 

Prof. Tanneberger, herzlichen Dank für das Interview.